Der fiese DON GIOVANNI fasziniert auch Kinder – etwa bei einer „Reise durch die Welt der Stimmfächer“ im Stadttheater
Eigentlich, da braucht man sich nichts vormachen, handelt es sich bei „Don Giovanni“ um ganz harten Stoff. Skrupelloser reicher Betrüger sammelt Frauen wie andere Männer Briefmarken und macht selbst vor heiratswilligen Bauerntöchtern nicht halt. Zur Strafe muss er schließlich sterben. Wie also erklärt man Kindern, worum es sich bei dieser Mozart-Oper handelt – und was eine Oper überhaupt ausmacht? Das zeigt aufs Trefflichste Martin Gärtner, der bei dieser „munteren Reise durch die Welt der Stimmfächer“, so der Untertitel, nicht nur am Piano sitzt und die Sänger begleitet, sondern den Vormittag im Stadttheater auch moderiert.
Und zwar so kurzweilig, leichtfüßig und gekonnt, dass die Kinder im vollbesetzten Saal allesamt eine gute Stunde lang gebannt lauschen und auch ihre Eltern (und Lehrer) noch eine ganze Menge lernen können. Was also war noch einmal ein Rezitativ? Der die Handlung vorantreibende Sprechgesang zwischen den Arien. Wem verleiht Diener Leporello seinen Namen? Einem faltbaren Papier- oder Kartonstreifen. Und was hat Zerlina-Darstellerin Karola Parvone da eigentlich an? Ein rotes Teufelchen-Kostüm samt Hörnern, wie es auch Junggesellinnen auf ihren Abschiedstouren in deutschen Innenstädten tragen könnten. Schließlich zögert diese lebenslustige junge Frau auch in der aktuellen Gießener Inszenierung (nächster Termin: 21. Januar) ein ganzes Weilchen, ob sie sich den braven Masetto oder doch den draufgängerischen – und vor allem vermögenden – Don Giovanni an die breite Männerbrust werfen soll.
Gleichzeitig verbindet Musiker und Moderator Gärtner, der 1997 den Kinder- und Jugendchor des Stadttheaters gründete, diese Kriminalgeschichte mit einer kleinen, unterhaltsamen Stimmenkunde, bei der er nach und nach verschiedene tragende Sänger der derzeit am Stadttheater gespielten Oper auf die Bühne bittet. Also natürlich die durchtriebene Hauptfigur, die in Gießen der Bariton Grga Peroš verkörpert. Ebenso wie dessen Kollegen Nikolay Anisimov, Clemens Kerschbaumer, Tomi Wendt und eben Karola Pavone.
Dann können sich die Besucher im direkten Vergleich anhören, warum sich der eine Bariton nicht wie der andere anhört und wie sich beide vom Bass unterscheiden. Der Moskauer Anisimov erzählt, dass er eigentlich auf dem Weg zu einem „vernünftigen Beruf“ war und angefangen hat, IT zu studieren, als eine Bekannte seine Begabung bei einem Lagerfeuersingen entdeckt hat. Der Wiener Kerschbaumer zeigt, dass er hohe wie tiefe Töne gleichermaßen beherrscht. Und der Kroate Peroš bekennt freimütig, dass man mit dem Singen nicht reich werden kann – außer vielleicht als Popstar.
Auch Fragen aus dem Publikum werden fröhlich beantwortet. Martin Gärtner demonstriert, wie tief tibetanische Mönche klingen können. Und die Sänger machen immer wieder lustige Faxen, die das junge Publikum zu lautem Gelächter reizen. So gelingt in diesem Programm die Kunst, Lehrreiches mit Unterhaltsamem zu verbinden – und damit vielleicht auch manchen künftigen Opernbesucher für sich zu gewinnen. Nur eines scheint nicht allen jungen Besuchern zu schmecken. Die Küsse, die Zerlina mit Don Giovanni und Masetto tauscht, sorgen beim Nachwuchs für manchen lauten Seufzer. Als Opernsängerin „darf man eben viel küssen“, sagt Martin Gärtner – und verbessert sich umgehend: „oder muss man viel küssen“.
Björn Gauges, 18.01.2018, Gießener Anzeiger