Die Oper in der Oper ist der formale Clou von »Ariadne auf Naxos«. Musikalisch hat Richard Strauss 300 Jahre Kompositionskunst miteinander verwoben. Das Stadttheater zeigt eine Neuinszenierung von Theaterlegende Hans Hollmann.
Die Messlatte liegt hoch. Kaum ein anderes Repertoirestück verspricht so viel Hintersinniges wie die Oper »Ariadne auf Naxos« von Richard Strauss und seinem Textpartner Hugo von Hofmannsthal. Der formale Clou des Werks aus dem Jahr 1916 ist die Oper in der Oper. Auf der einen Seite geht es im sogenannten Vorspiel, das in Wien zu Beginn des 20. Jahrhunderts siedelt, um einen Blick hinter die Kulissen, um die Eitelkeiten, Zwiespälte und Techtelmechtel am Theater. Auf der andern Seite werden in der eigentlichen Oper die Charaktere einer Commedia dell’arte mit der ernsten Ariadne-Tragödie verwoben.
Die Inszenierung von Theaterlegende Hans Hollmann zeigt denn auch zu Beginn die bekannte Gemengelage: Ein junger Komponist und sein alter Musiklehrer sind außer sich. »Der reichste Mann von Wien« hat bei dem Tondichter eine ernste Oper in Auftrag gegeben, die plötzlich um das lustige Tanzspiel einer Gauklergruppe ergänzt werden soll. Dann kommt es ganz dicke und dem neureichen Krösus in den listigen Sinn, beide Stücke gleichzeitig aufzuführen, was den Komponisten an den Rand des Wahnsinns treibt. Die Opern-Crew protestiert vergeblich beim Haushofmeister (gekonnt: Harald Pfeiffer). Beide Truppen, die komische und die tragische, müssen improvisieren. Ein Spiel auf zwei Ebenen beginnt, sobald sich die aus der griechischen Mythologie entlehnten Figuren mit den Gauklern messen.
Die Darstellung der Turbulenzen im Vorspiel vermittelt Hollmann mit einem Augenzwinkern. Annelie Sophie Müller debütiert in der Hosenrolle des Komponisten und mausert sich mit ihrem sauberen, glasklaren Sopran zum Star des gesamten Abends, auch wenn sie in der eigentlichen Oper nicht mehr auf der Bühne steht. Dort, auf einer wüsten Insel, die von einem wüsten Meer umtost wird, verlässt den 84-jährigen Regisseur zum Ende hin der Esprit. Ausstatter Lukas Noll zeigt ein beschauliches vorhangumgrenztes Plätzchen mit rotem Bett als Liebeslager in der Bühnenmitte. Die in Trauerschwarz gehüllte Königstochter Ariadne liegt einsam darauf und sehnt sich nach ihrem Theseus. Der lässt sich nicht blicken. Stattdessen erscheint Bacchus, den Ariadne anfangs für Theseus hält. Der Gott des Weins angelt sich am Schluss die Holde im blauen Abendkleid. Zuvor schweben mehrfach drei Nymphen (Natascha Jung und die beiden Schwestern Karola und Sofia Pavone) als humoristische Augenweide vom Schnürboden herab und singen in kirchenmusikalisch schöner Dreistimmigkeit. Überhaupt hält nun die Musik das Zepter in der Hand, gelingt Generalmusikdirektor Michael Hofstetter und seinem Philharmonischen Orchester Gießen, das in der schlanken Originalbesetzung aufspielt, trotz einiger schriller Spitzen die Strauss’sche Mixtur aus beinahe 300 Jahren Musikgeschichte mit Bravour.
Der Teufel steckt im Detail: Die vier männlichen Gaukler der Jux-Truppe tragen weißen Glitzer-Smoking und persiflieren sich selber. Das muss man mögen. Im Gegensatz dazu wirkt die im Programmheft als leichtlebig beschriebene Zerbinetta der Diana Tomsche allzu brav. Weder ihr hochgeschlossener Bademantel noch das züchtige Dirndl, in dem Tomsche aussieht, als sei sie auf dem Weg zur eigenen Konfirmation, haben etwas mit sexuellen Reizen zu tun. Hollmann präsentiert sie wortgetreu als »entzückendes Mädchen«. Ihr feiner Koloratursopran überdeckt die optischen Mängel, aber nicht die Textunverständlichkeit. Tomi Wendt als Musiklehrer und Clemens Kerschbaumer als Tanzmeister zeigen, wie es besser geht. Dorothea Maria Marx (Ariadne und Primadonna) meistert ihre Rollen mit großem Können. Michael Siemon (Bacchus und Tenor) ist ihr ein zuverlässiger Partner.
Dass sich beide am Ende doch noch kriegen, erscheint als Wohltat, nachdem sie unendlich oft das rote Bett umkreist haben, erst zögerlich, dann geschwind, als sie die gegenseitige Zuneigung spüren. Im Schlussbild sitzen Ariadne und Bacchus Gesicht an Gesicht. Langer Premierenapplaus mit Bravorufen am Samstagabend vom nicht ausverkauften Haus.
Manfred Merz, 17.12.2017, Gießener Allgemeine Zeitung