Das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland ist als günstiges Taschenbuch für jedermann verfügbar, die aktuelle, 48. Auflage für schmale 7,90 Euro in allen Buchhandlungen griffbereit. Doch was steht eigentlich drin in diesem juristischen Bestseller? Dieser Frage ging Theatermacherin Astrid Jacob nach - und stellt "Unser Grundgesetz" in den Mittelpunkt einer szenischen Lesung auf der taT-Studiobühne. Schon in der Entstehungsphase ihrer Arbeit stellte sie fest: "Dieses Buch ist spannender als ein Thriller."
In kurzen Dialogen lässt die Autorin und Regisseurin auf der taT-Bühne drei Schauspieler zu Wort kommen. Und Ewa Rataj, Paula Schrötter sowie Sebastian Songin rasen mit Höchsttempo und sprachlicher Akrobatik durch die Artikel, die gleich am Anfang dieser Textsammlung stehen: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." "Jeder hat das Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit." "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich." Das hört sich doch schon einmal richtig gut an.
Als einen "Anstoß" will die Theatermacherin ihre szenische Aufbereitung des Themas verstanden wissen. Und das gelingt ausgezeichnet - auch wenn die bisweilen arg sperrige Juristensprache dem ästhetischen Vergnügen immer wieder im Wege steht. Doch Astrid Jacob hat bei der Recherche zu diesem Bühnenprogramm viele Entdeckungen gemacht, die sie das Grundgesetz heute mit anderen Augen sehen lassen.
Da sind etwa die kämpferischen Juristinnen, die nach dem Zweiten Weltkrieg an der Ausarbeitung des Gesetzestextes beteiligt waren und - entgegen vieler männlicher Widerstände - dafür sorgten, dass es seit der ersten Ausgabe 1949 bis heute heißt: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt." So steht es in Artikel 3. Und Jacob schwärmt für den Staatsrechtler Prof. Günter Dürig (1920 - 1996), der bis heute als einer der einflussreichsten Juristen des Landes gilt und der maßgeblich an der Entwicklung des Grundgesetzes beteiligt war. "Ein toller Mann, ich hätte ihn gerne kennengelernt."
Doch - und auch das ist in dieser kurzweiligen szenischen Lesung zu entdecken - das Grundgesetz hat keine statische, unveränderliche Form, sondern unterliegt einem dauerhaften Veränderungsprozess. Etwa in diesem Fall: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." So war es jahrelang zu lesen. Dann kam der Herbst 2015, der auch in diesem Buch seine Wirkung hinterlassen hat - in Form von vier Unterpunkten, die zahlreiche Ausnahmen definieren und deren mehr verwirrenden als erhellenden Bandwurmsätze dem Publikum nicht erspart wurden.
Im Anschluss an diesen 45-minütigen Exkurs mit theatralen Mitteln diskutierten die vier Akteure mit dem Rechtsexperten Prof. Thomas Henne, der noch manchen weiteren spannenden Hinweis lieferte. Etwa zu dem Halbsatz " ...sofern man nicht gegen das Sittengesetz verstößt", der bis heute in dem Gesetzestext zu finden ist. Doch was, bitteschön, sind denn die Sitten? Als mündiger Bürger das Grundgesetz auf seine Aussagen und seinen Gehalt zu überprüfen - auch das gibt dieser Theaterabend seinem Publikum mit auf den Heimweg.
Nächste Vorstellung: am 24. November auf der taT-Studiobühne.
Björn Gauges, 28.10.2017, Gießener Anzeiger