Belcanto-Spezialist Eraldo Salmieri dirigiert beziehungsreiches Programm mit Bellini, Verdi, Wagner und Rota
Ein Belcanto-Spezialist kommt nach Gießen und dirigiert Bellini, Verdi – und Wagner. Eraldo Salmieri, der am Stadttheater schon etliche umjubelte Aufführungen italienischer Opern leitete, bot dem Publikum im Sinfoniekonzert am Dienstagabend diesmal ein Programm mit vielerlei Bezügen. Einer davon war durch Richard Wagners Todestag am 13. Februar 1883 gegeben. Die Auswahl der Musikstücke ließ an dem recht knappen Konzertabend (mit Pause keine zwei Stunden) jedoch nicht alle Herzen höherschlagen. So war der Applaus für das Philharmonische Orchester Gießen und den Gast am Dirigentenpult eher höflich als überschäumend.
Richard Wagners Verhältnis zur italienischen Oper und zum Belcanto darf als zwiespältig bezeichnet werden: Einerseits wetterte er gegen die italienische Stimmschulung, andererseits bewunderte er den Melodienreichtum der Italiener und den Wohllaut ihres Gesangs. Über Vincenzo Bellini bemerkte er einmal, er habe solche Melodien geschrieben, „wie sie schöner nicht geträumt werden können“.
Geradezu schmissig und berührend begann der Abend mit Bellinis Ouvertüre zu „Norma“. Mit weit ausholenden Armbewegungen kosteten Salmieri und das Orchester die schwelgerische Musik genießerisch aus, die ein Höchstmaß an Klangsinnlichkeit erreicht und zuweilen von rauschhafter Wirkung ist. Kein Wunder, dass sich Wagner davon inspirieren ließ. In einer spannungsgeladenen Wiedergabe zelebrierte Salmieri den Belcanto ohne Gesang und öffnete mit untrüglichem Gespür für die Wirkung der Musik die Ohren für das strömende Melos mit den weitschwingenden Melodiebögen.
Ein Meisterstück voll Zärtlichkeit, Stärke und Ungestüm ist Giuseppe Verdis Ouvertüre zu „I vespri siciliani“ (Die sizilianische Vesper). Auch hier führte der Gast am Dirigentenpult das Orchester wieder zu einer sehr gefühlvollen, bewegenden Darbietung – von den unheilvollen Trommelschlägen zu Beginn bis zu dem liedhaft-innigen, von den Celli vorgetragenen Hauptthema. Unterschwellig kündigte sich bei alledem die Dramatik des Geschehens mit typisch Verdi'scher Wucht an.
Sizilien ist auch der Schauplatz von Wagners Frühwerk „Das Liebesverbot“, einer komischen Oper nach Shakespeares Komödie „Maß für Maß“. Die Ouvertüre dazu passte so recht zum Fastnachtsdienstag, denn es geht darum, dass Friedrich, der Statthalter in Sizilien, im Karneval jede Lustbarkeit und auch jede Annäherung der Geschlechter verboten hat. Die Musik dazu holt die Sonne Siziliens in den Konzertsaal. Wer hätte gedacht, dass das von Wagner ist? Mit Tamburin, Kastagnetten, Celesta und allerlei Schlagwerk ließ das feurig spielende Orchester südländische Sinnlichkeit und Sinnenfreude aufblitzen, mit denen der junge Komponist deutsche Biederkeit und Sittenstrenge in seiner Heimat konfrontierte.
Dann der „Parsifal“ in sinfonischen Ausschnitten. Hermann Levi, der berühmte aus Gießen stammende Dirigent, leitete die Uraufführung 1882 im Bayreuther Festspielhaus. Seine Büste steht nur wenige Schritte vom Theater entfernt im Theaterpark – ein weiterer Bezug zum Programm dieses Sinfoniekonzerts. Feinnervig und mit kluger Klangdramaturgie führte der Belcanto-Spezialist durch Wagners Alterswerk, in dem der Quell der musikalischen Inspiration zwar nicht mehr so stark strömt wie in früheren Werken, dafür aber mit verhältnismäßig wenigen Mitteln eine starke und tiefe Wirkung erreicht wird. Alles strebt nach Einfachheit und Klarheit. Das löste auch die Wiedergabe durch das Philharmonische Orchester mit ihrem feierlichen, weihevollen Ton sehr schön ein.
Erinnerung an Levi
Die Musik zum 1963 entstandenen Filmklassiker „Il Gattopardo“ (Der Leopard) von Luchino Visconti rundete den deutsch-italienischen Abend klangmächtig ab. Für sein opulentes, in verschwenderischen Bildern schwelgendes Werk hat der Regisseur seinen Landsmann Nino Rota gewinnen können. Unter Salmieris elanvollem Dirigat machten die Zuhörer Bekanntschaft mit einer farbenreichen, stimmungsvollen, zündenden und brillant instrumentierten Musik, die voll von gelungenen Anspielungen auf große Komponisten der Musikgeschichte ist und doch immer unverwechselbar Nino Rota. Nach dem mit den ganz großen Gefühlen durchtränkten Stück traten die Besucher ernüchtert hinaus in den kalten Februarabend, an dem sich bereits der Aschermittwoch ankündigte.
Thomas Schmitz-Albohn, 15.02.2018, Gießener Anzeiger