Entscheiden wir selbst über unser Leben, oder ist alles nur eine Aneinanderkettung von Zufällen? Dieser Frage geht Nick Payne in seinem Zweipersonenstück »Konstellationen« nach, das auf der taT-Studiobühne zu sehen ist.
Roman Kurtz, seit vielen Jahren im Ensemble des Stadttheaters als Schauspieler eine »sichere Bank«, wagt erneut den Sprung ins Regiefach. Nach dem Einakter »Die Unterrichtsstunde« und der poetischen Studioproduktion »Kleine Engel« bringt er nun »Konstellationen« von Nick Payne auf die kleine Bühne und setzt damit auf ein von der Kritik hochgelobtes Stück, das seit seiner Uraufführung 2012 sogar am New Yorker Broadway Erfolge feiert. Gute Voraussetzungen also für die jüngste Inszenierung des Stadttheaters, die am Donnerstagabend auf der Studiobühne Premiere hatte.
Payne erzählt in »Konstellationen« von einem Paar in den mäandernden Schleifen des Lebens. Es gibt nur wenige Konstanten in der immer wieder mit unterschiedlichen Vorzeichen in der Zeit hin- und herspringenden Story um Marianne, die Quantenphysikerin, und Ronald, den Imker. Fixpunkte sind nur ihr erstes Kennenlernen, ihr Wiedersehen bei einem Tanzkurs, der eher unbeholfene Heiratsantrag, die Beichte von Affären – eben ganz alltägliche Ereignisse in einer Paarbeziehung. Doch dann wird bei Marianne ein Hirntumor diagnostiziert und sie entschließt sich (beinahe) dazu, ihrem Leben selbst ein Ende zu setzen.
Dazwischen ist immer wieder alles möglich, beeinflusst das von Kyra Lippler und Tom Wild gespielte ungleiche Paar durch wechselnde Charaktereigenschaften und Stimmungen, aber auch ganz bewusst getroffene Entscheidungen den Lauf seines Schicksals. Mal ist der Hirntumor operabel, mal nicht. Mal finden die Liebenden aneinander Halt, mal nicht. »Wir sind nur Teilchen« bringt es die kopfgesteuerte Quantenphysikerin auf den Punkt, doch der bauchgesteuerte Imker Ronald will das nicht gelten lassen und das Paar nimmt immer wieder neuen szenischen Anlauf, um eine weitere mögliche Zukunft zu entwickeln. Was wäre wenn? – Das ist die große Frage.
Regisseur Roman Kurtz und Bühnenbildnerin Denise Schneider lassen die Zuschauer ganz nah am privaten Ringen der beiden teilhaben. Das Publikum sitzt in einer Art Stuhlkreis um das Paar herum, das von einem kleinen Rondell in der Mitte aus immer wieder in andere Richtungen spricht.
Dass man dabei viel zu oft nur auf die Rücken der Schauspieler schaut, ist zwar unangenehm, doch hat das Gefühl, als Zuschauer wie Planeten in einem Sonnensystem um das Zentrum zu kreisen, duchaus auch seinen Reiz. Und auch die beiden kreisrunden Videoprojektionen über den Köpfen, auf denen Tom Wild zu Beginn in Imkermontur wie Major Tom aus dem All zu »Across the Universe« von den Beatles in die Szene hineinschwebt, unterstreichen dieses Gefühl der all-mächtigen Planeten-Konstellation – ein wahrhaft kosmo- und astrologisches Erlebnis.
Kyra Lippler und Tom Wild gelingt der blitzschnelle Umschwung von einer Kurzszene in die nächste scheinbar mühelos. Da muss man als Zuschauer schon gewaltig aufpassen, um die jeweilige Konstellation der Situation sofort zu realisieren. Während Lipplers Physikerin Marianne durchweg eher intellektuell, kühl und überlegt wirkt, schlingert Wild mit viel Gefühl durch die unterschiedlichen Stimmungen seines Ronald. Mal ist er schusselig, dann aggressiv, dann wieder von der Situation völlig überfordert.
Jene Szenen, in denen er mit einer mehr oder weniger geschickt vorgelesenen Parabel über Drohnen, Arbeitsbienen und die Königin im Bienenreich seiner Marianne immer wieder Heiratsanträge macht und mal eine kühle Abfuhr, dann wieder ein nicht gerade stürmisches »Ja« kassiert, gehören zu den rührendsten Momenten der mit langem Premierenapplaus bedachten Inszenierung. Die zeigt in 90 Minuten eindrücklich, wie wichtig jeder einzelne Augenblick ist.
Karola Schepp, 06.01.2017, Gießener Allgemeine Zeitung