Unter vollen Segeln in die Sommerpause: Philharmonisches Orchester mit Max Bruchs Oratorium „Moses“ im Stadttheater
In seinem letzten Sinfoniekonzert dieser Saison wandte sich das Philharmonische Orchester noch einmal der Wiederentdeckung von Musik zu, die sonst weitgehend aus den Konzertsälen verschwunden ist. Mit Max Bruchs Oratorium „Moses“ ging die Spielzeit sozusagen unter vollen Segeln in die Sommerpause.
Besetzt für Solisten, großen Chor und das volle romantische Sinfonieorchester einschließlich Orgel, wurde die Aufführung unter Leitung des stellvertretenden Generalmusikdirektors Jan Hoffmann und unter Mitwirkung der vereinten Sangeskräfte von Wetzlarer Singakademie, Gießener Konzertverein sowie Chor und Extrachor des Stadttheaters zu einer Reise in den leicht angestaubten, aber doch irgendwie erhebenden Heroismus der musikalischen Restauration des ausgehenden 19. Jahrhunderts.
Es ist ein Stück, genau gemacht für groß besetzte Laien-Chorvereinigungen mit ihren ideellen und institutionellen Wurzeln in der bürgerlichen Musikkultur des 19. Jahrhunderts. Für solche Chöre hat schon Mendelssohn, für solche Chöre hat später Brahms geschrieben. Und genau diese sind auch die wichtigsten Vorbilder für Max Bruch (1838 – 1920). Von Wagners modernem Musikdrama hielt er nichts, seine Oratorien sind praktisch wie ein Gegenentwurf hierzu hörbar.
Seine durchaus erfolgreiche Uraufführung erfuhr „Moses“ Anfang 1895 im rheinländischen Barmen mit einem Chor von gut 280 Sängerinnen und Sängern. Die Musik wird stark vom Chor getragen, anspruchsvoll zu singen, effektvoll in den Massenklängen, aber nicht unsubtil auch in polyphonen, entfernt an Händel angelehnten Fakturen. Auch Mendelssohn lässt immer wieder grüßen. Der Chor hat das gut bewältigt, nur selten vielleicht etwas angestrengt in der Höhe, fast immer konnte das Ensemble die Spannung und damit auch die Tonqualität halten. Abstriche musste man bei der Wortverständlichkeit hinnehmen. Das ist schade, denn immerhin hat das Oratorium ja eine Handlung, mit deren Text angesichts der Rarität des Stücks kaum jemand im Publikum vertraut sein dürfte.
Apropos Text: Es handelt sich um Paraphrasen aus dem Alten Testament sowie einige Psalmverse. Verfasst hat das Libretto Ludwig Spitta, ein Bruder des Musikwissenschaftlers Philipp Spitta, über den wiederum Bruch sich mit dem preußischen Kulturprotestantismus anfreundete, also einer konservativen Haltung eines nationalistischen Bürgertums.
Konservative Haltung
Nicht zufällig schrieb Bruch nach 1871 mehrere Oratorien mit heroischen und in diesem Sinne national identitätswirksamen Stoffen, darunter auch „Moses“. In vier Teilen thematisiert das Stück wichtige Ereignisse in dessen Leben: Den Beginn macht Moses’ Aufstieg zum Berg Sinai, um dort die Zehn Gebote zu empfangen. Teil zwei erzählt die Geschichte vom goldenen Kalb. In Teil drei berichten die Kundschafter über das Land Kanaan, den Aufbruch in die Schlacht vorbereitend. Der Schlussteil erzählt Moses’ Tod.
Zentral sind natürlich auch die drei Solisten, die in herkömmlicher Aufteilung in Rezitative, Arien und durchkomponierte Szenen die drei Protagonisten Moses (Bariton), Aaron (Tenor) und den Engels des Herrn (Sopran) verkörpern. Von mitunter erschütternder, aber stets fein kontrollierter Resonanz war dabei der Bariton von Heiko Trinsinger. Ihm gegenüber fiel der insgesamt geradlinige, unbeweglich um Dramatik bemühte Gesang von Julia Borchert deutlich ab. Wenig überzeugend war auch die zum angestrengten Hervorstoßen neigende, fallweise sich an einer Art Puccini-Glanz versuchende Partie des Tenors Dan Karlström.
Last not least ist selbstverständlich auch das Orchester nicht unwichtig – ganz im Gegenteil. Es dient Bruch wesentlich der Unterstützung und – gerne auch lautmalerischen – Ausdeutung des Textes, und zudem natürlich der hilfreich-ökonomischen Verdopplung des Chorsatzes. Hoffmann hat es sehr gut bewältigt, diesen insgesamt doch gewaltigen Apparat zu einer Einheit zusammenzuführen.
Zweierlei hätte man sich vielleicht gewünscht: den Text als Übertitel und ein paar Informationen über das Stück – im Programmheft suchte man sie vergeblich.
Karsten Mackensen, 21.06.2019, Gießener Anzeiger