Eine Werkstattlesung mit Musik war im Foyer des Stadttheaters zu erleben. Dabei wurden zwei aktuelle künstlerische Arbeiten in Schauspiel und Oper zusammengebracht
Eine Werkstattlesung mit Musik war am Freitagabend in konzentrierten 70 Minuten im Foyer des Stadttheaters zu erleben. Carola Schiefke, die frisch installierte Theaterdramaturgin des Hauses, hatte die Idee, die aktuellen künstlerischen Arbeiten in Schauspiel und Oper zusammenzubringen.
Unter dem vielversprechenden, weil schlicht den Menschen in seiner ganzen Existenz umfassenden Titel "Liebe und Tod" brachten zwei Ensembles musikalische und dichterische Fragmente zu Gehör. Der Abend war literarisch William Shakespeare (1564 -1616) gewidmet, musikalisch Carlo Gesualdo (1566 - 1613). Nun verbindet die beiden außer ihren fast identischen Lebensdaten nicht viel. So könnte man unterstellen, dass hier primär Werbung in eigener Sache betrieben wurde: Gesualdos Kompositionen sind Bestandteil der aktuellen Inszenierung von Umberto Giordanos "Mala vita" (siehe Bericht vom 17. September), und Shakespeares "Romeo und Julia" hat im November Premiere im Großen Haus.
Aber das wäre zu kurz gegriffen. Denn die Werke beider Autoren zeichnet eine hoch sensible Auslotung der Abgründe der menschlichen Seele aus - ja, der theologische Begriff muss her, denn Gesualdos Responsorien für die Karwoche sind immerhin geistliche Werke und auch die weltlichen Sonette Shakespeares sind offensichtlich geprägt von einer neuplatonischen Liebesvorstellung, die ohne Weltseele nicht auskommt. Die Texte des Engländers sind zutiefst musikalisch, nicht nur in ihren Metaphern, sondern auch und nicht zuletzt im Klang der Sprache selbst - wie schön, dass Stephan Hirschpointner eines der Sonette im englischen Original vortrug, das nicht nur in Worten "Licht" und "Schatten" sagt, sondern sie in Lautfarben zugleich auch malt ("Am besten seh' ich, schließt mein Auge sich").
Umgekehrt können Schmerz, Leid oder Liebe, jede Begrifflichkeit übersteigend, kaum deutlicher werden als in den affektgeladenen Vokalkompositionen Gesualdos. Das sehr homogene Ensemble mit Naroa Intxausti, Ayano Matsui, Jan Hoffmann, Kornel Maciejowski, Tomi Wendt und Christopher Meisemann - unterstützt durch eine kleine Orgel (Evgeni Ganev) - ließ die Musik wie aus dem Off von der Galerie herniedersinken.
Das passte zusammen
Das passte dann schon zusammen: Zum weltlichen und dementsprechend unspröde musizierten Madrigal "T'amo, mia vita" ("Ich liebe dich, mein Leben") gesellten sich eine pastorale Szene aus "Wie es euch gefällt" und das 113. Sonett, das mit seiner melancholischen Sehnsucht zum finsteren Eifersuchtsdialog von Othello und Desdemona überleitete - mit grandios bösartiger Schlagfertigkeit vorgetragen von Tom Wild und Carolin Weber.
Musikalischer Kommentar: "Tristis est anima mea" ("Meine Seele ist betrübt"). Der im Schein die verzweifelte Ophelia zurückweisende Hamlet (Anne-Elise Minetti im Dialog mit Tom Wild) erzwingt förmlich die musikalische Reaktion "Moro, lasso" ("Ich sterbe, ach"). So ging es weiter - eine regelrechte Dramaturgie führte durch den Ablauf. Natürlich traten auch Romeo und Julia in Erscheinung (Hirschpointner und Minetti), ihr Dialog genuin musikalisch ("Es war die Nachtigall"). Das Schlusswort hatte Gesualdo mit "Caligaverunt oculi mei" ("Dunkel sind meine Augen vom Weinen"). Ob diese Buße echt ist oder doch nur Theater, möchte man nicht entscheiden - Gesualdos Leben, voll von Liebe, Eifersucht, Mord und Reue, hatte Qualitäten eines Shakespeare-Dramas.
Karsten Mackensen, 08.10.2018, Gießener Anzeiger