Die Premiere des TanzArt ostwest ist geglückt. Im Hangar des Johanniter Luftrettungszentrums kam die Site-Specific-Performance von Lucyna Zwolinska und der Tanzcompagnie beim Publikum an - trotz Notfall.
Der Titel der TanzArt-Auftaktchoreografie »IN | DE | FL | AIR« ist ein Kompositum aus inflate (aufblasen) und deflate (Luft herauslassen). Er benennt das zentrale Lebensthema Luft und Atem, mit dem das Johanniter-Luftrettungszentrum täglich zu tun hat. Die Johanniter sind in Hessen die Einzigen, die 24 Stunden am Tag mit dem Hubschrauber im Einsatz sind, erklärte Geschäftsführer Günther Lohre. Auch erläuterte er die notwendigen Sicherheitsmaßnahmen für diese außergewöhnliche Veranstaltung an diesem Ort.
Und als sei es perfektes Timing, erfolgte noch in der Eröffnungsstunde ein Notruf zu einem Einsatz. Die Aktion bis zum Abheben des Hubschraubers nahmen viele Besucher zunächst als Teil der Theater-Performance wahr. Doch es war Reality, keine Show. Dafür fehlte dann während der eigentlichen Tanzperformance der Hubschrauber als Hintergrundmotiv. Was verschmerzbar war, denn der Rest des Raumes und das breite Blickfeld auf die andere Seite von Gießen inklusive der Bahnlinie entschädigten reichlich.
Ballettdirektor und Festivalleiter Tarek Assam richtete in seiner Begrüßung den Dank an Ruth von Förster-Kamlah, die ihm die Welt der Johanniter erschlossen und den Kontakt zum Luftrettungszentrum hergestellt habe. Stadträtin Astrid Eibelshäuser begrüßte namens des Magistrats und wies auf die langjährige Kooperation mit dem städtischen Kulturamt hin, das die Site Specific Performance finanziell ermöglicht.
Gastchoreografin Lucyna Zwolinska war Tänzerin an Staatstheatern in Augsburg und Saarbrücken, zuletzt Mitglied beim Tanztheater von Susanne Linke in Trier. Sie hat sich nun ganz für die Choreografie entschieden, will eigene Ideen umsetzen. Sie war mit ihren bisherigen Stücken bereits auf Wettbewerben und erhielt Preise. Die Site Specific Performance in Gießen zählt zu ihren ersten Auftragsarbeiten.
Atem und Lebensenergie im Tanz
Das Thema Atem und Lebensenergie gehört zu ihrem zentralen Ansatz beim Tanz. Die Körper ihrer Tänzer sind biegsam bis an die Grenze des Möglichen, sie bewegen sich weich und geschmeidig, werden von einem Pusten fast umgeweht. Was vor allem in den Zeitlupen-Szenen deutlich wird. Wie im Qi Gong lassen die Tänzer die Energie zwischen den Händen größer werden, bewegen ihr Gegenüber ohne es zu berühren. Es wird auch dynamisch und schnell, mal im virilen Zweikampf, mal in Gruppenszenen. Das erinnert ein wenig an Kampfsport wie Kung Fu.
Verletztsein und Schmerzen haben, das Helfen und Rettungsversuche werden sichtbar gemacht im Tanz. So ist Adriana Dornio erst die dynamische Frau, die drei Männer fasziniert, dann geht die Luft raus und sie sackt zusammen wie eine Gummipuppe. Alle Versuche sie wiederzubeleben fruchten nicht. Am Ende ist die sogenannte Nulllinie der medizinischen Geräte zu hören.
Sound wie aus dem Leben
Der Sound kommt von dem mit Zwolinksa befreundeten Musiker und Komponisten Gabriele Basilico. Er hat reale Geräusche des Luftrettungszentrums mit harmonischen Klavierklängen kombiniert. Aufs Ganze gesehen hat er einen harmonischen Wohlfühlsound kreiert, der nur manchmal unterbrochen wird. Wie im Leben, wenn plötzlich Unfälle alles anders werden lassen. Das Publikum ließ sich berühren und applaudierte begeistert.
Das Team der Tanzcompagnie bestand aus Caitlin-Rae Crook, Adriana Dornio, Marine Henry, Chiara Zincone, Yusuke Inoue, Leo Vendelli und Gleidson Vigne, als Gasttänzerin dabei war die Neuseeländerin Isabelle Nelson, die am ersten TanzArt-Abend auf der Studiobühne noch mit Mana Orite zu erleben sein wird.
Dagmar Klein, 03.06.2019, Gießener Allgemeine Zeitung