Fulminanter Monolog mit vier Schauspielern: Stuckrad-Barres Lebensbericht „Panikherz“ auf der taT-Studiobühne
Der Aufstieg und Fall eines Popstars zählt zu den Klassikern unter den modernen Mythen. Benjamin von Stuckrad-Barre hat dieser Geschichte eine erfolgreiche Variante hinzugefügt, als er vor zwei Jahren seinen autobiographischen Roman „Panikherz“ vorlegte, in dem er von seiner Jugend als Pastorensohn in der niedersächsischen Provinz, seinen Abstürzen im Drogenrausch und seiner lebensrettenden Freundschaft zu Udo Lindenberg erzählte. Regisseur Jan Langenheim hat die Vorlage nun für die Gießener taT-Studiobühne adaptiert. Und dem Theatermacher gelingt das Kunststück, das rund 550 Seiten dicke Buch inhaltlich so zu verdichten, dass ein gewitztes, facettenreiches, bisweilen sogar anrührendes Porträt des einstmals gefeierten „Popliteraten“ entsteht. Am Donnerstagabend war die Premiere der Inszenierung zu erleben.
Langenheims Ansatz ist es, den Autor durch gleich vier Darsteller sprechen zu lassen. Roman Kurtz, Pascal Thomas sowie die beiden jungen Ensemble-Neuzugänge Esra Schreier und Magnus Pflüger teilen sich die Rollen des Erzählers, indem sie sich immer wieder sätzeweise ergänzen und bisweilen sogar gleichzeitig zu Teilen des an drei Seiten des Bühnenraums platzierten Publikums sprechen. Vorgeführt wird hier fulminanter „Laberjazz“ (Roman Kurtz) in nahezu perfektem Timing. So entsteht nicht nur ein enormes Tempo, sondern es entwickeln sich auch immer wieder interessante Bühnenszenerien, für die ebenso wie für die zahlreichen Kostüme des Quartetts ebenfalls Jan Langenheim zuständig ist.
Es beginnt mit der Reise nach Los Angeles, die der Erzähler zusammen mit Udo Lindenberg unternimmt. Die beiden steigen im berühmten Hotel Chateau Marmont ab, das schon zum Zuhause vieler gestrauchelter Künstler geworden ist. Sein Rockstar-Kumpel reist bald wieder ab, doch „Stuckiman“ bleibt und widmet sich fortan seinen Erinnerungen und Reflexionen. Die allesamt blendend aufgelegten Schauspieler führen das Publikum nun im steten Wechsel der Erzähl- und Zeitebenen zurück zu den Stationen seines wechselhaften Lebens. Ins uncool-idealistische Elternhaus, in die Göttinger Gymnasialzeit, in der er die Literatur, die Musik, das pralle Leben entdeckt. Schließlich zur Bekanntschaft mit dem Rockstar Udo Lindenberg (dessen Nuschelei alle vier trefflich parodieren), zu ersten Erfolgen als Musikkritiker – sowie den immer stärker werdenden Kontrollverlusten als Opfer seiner Ängste und seines exzessiven Drogenkonsums.
Dabei machen sich die Schauspieler immer wieder die unglaublich präzisen Sätze zunutze, die „Panikherz“ ihnen liefert. Allein das wunderbar durchgespielte Abitreffen nach 20 Jahren in Göttingen ist einen Besuch dieser Inszenierung wert. Mit beißendem Spott karikiert Stuckrad-Barre da seine einstigen Mitschüler, die sich in der selbstverschuldeten Misere zwischen Reihenhaus und Seitensprung eingerichtet haben. Worauf auf der taT-Bühne ein herrliches Dialogfeuerwerk abgebrannt wird, das in Minutenschnelle ein herrlich-böses Gesellschaftsporträt des bundesdeutschen Mittelschichtsmilieus zeichnet.
Doch dann kippt die Geschichte und aus Witz und Ironie wird tragischer Ernst. Auch diesen langen Abstieg des Erzählers macht das Schauspielquartett fortan kenntlich. Wunderbar etwa die Szene, in der Stuckrad-Barre rückfällig wird und zusammen mit einer jungen Frau in Zürich durch eine rauschhafte Nacht taumelt. Das Erwachen am nächsten Tag ist dafür umso fürchterlicher.
Einige Längen in dieser rund zweieinhalbstündigen Inszenierung (ohne Pause) wären sicher vermeidbar gewesen, die Stationen seiner typisch verlaufenden Drogenkarriere kommen einem dann doch irgendwann allzu bekannt vor. Dennoch überzeugt die von musikalischen Einsprengseln trefflich rhythmisierte Inszenierung (Kompositionen: Thies Mynther), weil hier eine Form gefunden wird, um diesen schwer zu zähmenden Stoff zu bündeln. Benjamin von Stuckrad-Barre, darf man vermuten, hätte seine Freude daran.
Björn Gauges, 01.09.2018, Gießener Anzeiger