Diese junge Liebe endet tragisch. Das Melodram »Königskinder« von Engelbert Humperdinck feiert im Stadttheater konzertante Premiere.
Sein Herz gehört den Epochen des Barock und der Klassik. Doch längst erkundet Generalmusikdirektor Michael Hofstetter auch ungewohntes Terrain, wenn er sich in die Romantik vorwagt und noch ein wenig darüber hinaus. Engelbert Humperdincks »Königskinder« sind so ein Fall. Besonders dann, wenn es sich um die Urfassung von 1897 handelt, um ein Märchenmelodram mit einer Mischung aus Gesang und Sprechtexten, das im Stadttheater konzertant erklingt.
Die »Königskinder« basieren auf einem Kunstmärchen von Elsa Bernstein-Porges, die auch das Libretto verfasste, in dem sich »Nest« auf »Geäst« reimt. Geboten wird ein Werk an der Schwelle der Romantik zur Moderne, dessen avantgardistische Züge der Deklamation das Publikum einst nur wenig erfreuten. Daran hat sich nicht viel geändert. Am Samstagabend bei der Premiere im gut besuchten Stadttheater ist es die Musik, die zählt. Allein das Vorspiel vor jedem der drei Akte verfügt über so viel Kraft und Schönheit, dass sich Humperdinck die Frage gestellt haben muss, ob statt des Sprechgesangs eine konventionelle Variante nicht die bessere Idee gewesen wäre. Sie war es, wie der Erfolg der durchkomponierten Oper »Königskinder« aus dem Jahr 1910 bezeugt.
Bei einer konzertanten Aufführung ist es hilfreich, über das zu reden, was man nicht sieht: die Handlung. Das sagte sich auch Hofstetter und gab in der Nummernabfolge den Erzähler mit sonorer Stimme. Es geht um mythologische Figuren, um die Geschichte zweier junger Menschen, die gern ein Liebespaar wären, aber an der Ignoranz der Gesellschaft scheitern. Die Gänsemagd, eigentlich eine Königstochter, wächst im tiefen Wald bei einer Hexe auf, die sie für ihre Großmutter hält. Sie trifft auf einen Prinzen und einen Spielmann, der den Königskindern zu Würde verhelfen will. Doch daraus wird nichts. Das Märchen endet tragisch mit dem Tod der beiden Liebenden.
Die Bayreuther Sopranlegende Anja Silja weilt dank Hofstetter in Gießen. Die Grande Dame, mittlerweile 78 Jahre alt, beschränkt sich in ihrer Partie der Hexe aufs Deklamieren. Das Singen überlässt sie Mezzosopranistin Marie Seidler als Gänsemagd. Sie intoniert mit Aplomb. Gasttenor Daniel Johannsen ist ein veritabler Königssohn und Gregor Dalal als Spielmann und Tod ein bärenstarker Bariton. Chor und Extrachor des Stadttheaters geben unter der bewährten Leitung von Jan Hoffmann ihr Bestes, den Kinder- und Jugendchor führt gewohnt zuverlässig Martin Gärtner. Am Ende spendet das Publikum reichlich Beifall.
Hofstetter bringt das Orchester zur Höchstleistung, wenn aus dem Volkston der Lieder und der Symbolsprache der Tonarten polyphone Strukturen erwachsen. Mithilfe von Fugati und rhythmisch verschlungenen Motiv-Elementen spinnt der Komponist sein feinmaschiges Gewebe über die Story – Humperdinck entpuppt sich als erster Netzwerker des 20. Jahrhunderts. Hofstetter spielt mit der Dynamik, das große Orchester folgt minutiös. Nun wäre es an der Zeit, die Oper zu zeigen – mit Inszenierung. Auch wenn es eng wird im Orchestergraben. Erfolgsregisseur Wolfgang Hofmann jedenfalls weilte schon mal unter den Premierengästen.
Manfred Merz, 12.02.2019, Gießener Allgemeine Zeitung