Regisseur Balázs Kovaliks Interpretation von Georg Friedrich Händels Oratorium „La Resurrezione“ feierte am Samstag im Gießener Stadttheater Premiere
Zum abschließenden Preis und Lob der Auferstehung des Herrn und damit zur Feier eines Sieges des Glaubens und der Hoffnung über Zweifel und Angst versammeln sich die Protagonisten jenseits des profanen Orts der vorangegangenen Ereignisse zum Chor, dabei Handlung und Szene den Rücken kehrend. Mit dem auf eine Bühnenwand projizierten Motto aus dem Johannes-Evangelium (20,29) beschwören sie die Seligkeit derer, die nicht sehen und doch glauben.
Kann man ihnen das nach den vorangegangenen Ereignissen und Szenen abnehmen? Mit einer konsequenten Parallelisierung der christlichen Überlieferung des bangenden Hoffens auf die Auferstehung Jesu mit Vorbereitungen zur profanen Einäscherung und Bestattung eines Verstorbenen thematisiert Regisseur Balázs Kovalik in seiner Interpretation von Georg Friedrich Händels Oratorium „La Resurrezione“ (Die Auferstehung) die Rolle des Glaubens im Kontext von Trauer und Tod.
Am Samstag feierte diese Gießener Produktion im Stadttheater Premiere. Die musikalische Leitung hatte Generalmusikdirektor Michael Hofstetter.
Die Idee einer szenischen Aufführung dieses Oratoriums folgt beinahe zwingend aus Händels Musik selber. Dem Inhalt nach handelt es sich bei dem zu Ostern 1708 in einem römischen Privatpalast uraufgeführten Stück zwar um ein Oratorium. Der Librettist, Carlo Sigismondo Capece, behandelt die Ereignisse zwischen Karfreitag und Ostersonntag. Er wählt zwei äußerlich nur vage miteinander verbundene Perspektiven: die des menschlichen Leidens und Hoffens in Gestalt von Maria Magdalena (Maddalena), des Evangelisten Johannes (Giovanni) sowie von Maria Cleofas (Cleofe), und die der Lösung eines überirdischen Konflikts, des Kampfes zwischen Erlösung und Sünde, repräsentiert durch Engel und Teufel. Die Musik Händels hierzu nun entstammt unüberhörbar der Welt der Oper – das dürfte auch mit dem damaligen Opernverbot in Rom zu tun haben; diese ausdrucksstarke Musik wollte sich das Publikum nicht nehmen lassen.
Was bei Händel wesentlich nebeneinander geschieht, verschränkt Kovalik szenisch in den einzelnen Situationen seiner in der Gegenwart angesiedelten Profanerzählung. Nicht zuletzt gelingt das unkompliziert auch dank des geschickten Bühnenbildes (so wie die Kostüme von Sebastian Ellrich entworfen). Einfache Wandteile mit betonartiger Anmutung erweisen sich als wandlungsfähige Elemente nicht nur zur Herstellung der verschiedenen Räume – von der Himmelstreppe über die Aufbahrungshalle einer Klinik, über Wohnzimmer und Kirchenkapelle bis hin zum Krematorium –, sondern auch als Projektions- und Lichtflächen. In all diesen Szenarien treten die Figuren beider Ebenen auf. Folgt man der Inszenierung, beschäftigen sich die Menschen wesentlich mit einem irdischen Leib – Jesu Auferstehung ist dann nur eine geistige Figur, an der man Halt sucht. Dem oft ebenfalls anwesenden Teufel aber ist der Leichnam seines Erzrivalen wichtig, den er besiegt glaubt. Tatsächlich kennzeichnet er ihn gleich in der ersten Szene als Christus, indem er ihm eine Dornenkrone aufsetzt. Der Engel entfernt sie dann wieder. Ist es schließlich Jesus, der eingeäschert und dessen Asche später eher beiläufig zerstreut wird? Die Schizophrenie einer derartigen Doppelbelegung lässt sich letztlich nicht durchhalten.
Theologisch konfus
Der Regisseur versucht es trotzdem, indem er vor dem Hintergrund dieser Dopplung verschiedenen Formen der Anverwandlung des Erlösungsgedankens Raum gibt. Gerade zu Beginn ist das Ergebnis erstaunlich schlüssig, wird aber im zweiten Teil zunehmend theologisch konfus. Stimmig scheint es, wenn Maddalena und Cleofe bei der Waschung des (profanen) Leichnams einen nur spirituell anwesenden Jesus anrufen, ergreifend ist Giovannis Gleichnis von dem zum Nest zurückkehrenden Täubchen als Trostwort bei der Trauerfeier zur Einäscherung in seiner Funktion als Priester. Schwieriger wird es, wenn Maddalena beim Leichenschmaus die Erinnerung an den Verstorbenen direkt mit dem Tod Jesu für die Menschheit assoziiert oder wenn dann gar in der Figur der Cleofe Auferstehung und Fortpflanzung eins werden: Die Hoffnung in ihrer Brust („E di speme nel mio seno / Più bel raggio ancor s’accende“) ist für sie schlicht ihre Schwangerschaft. Glaube wird so immer profaner, muss sich an Bildern festhalten (Kovalik baut eine wunderbare Prozessionsszene ein, die dem theatralischen und fast schon komischen Charakter der Musik besonders des Teufels an dieser Stelle aufs Genaueste gerecht wird) oder wird hysterisch-exaltiert: Dass Maddalena den Herrn gesehen haben will, glaubt ihr schon keiner mehr.
Auf höchstem Niveau
Ob das nun theologisch alles so gut aufgeht, mag dahingestellt bleiben. Die eindringliche Wirkung ist unbestreitbar – und sie ist zu keinem geringen Maß der ausdrucksstarken Musik geschuldet. Alle Gesangspartien waren bestens besetzt. Als Partner auf höchsten Niveau ebenbürtig agierten der venezolanische Countertenor Samuel Mariño als Engel und Grga Peroš als Teufel. Ihre Partien entsprechen einander komplementär genau, an virtuosen Schwierigkeiten geben sie sich kaum etwas. Was Mariño da leistet, ist schon phänomenal. Die Koloraturen laufen wie am Schnürchen, mühelos, dass einem die Luft wegbleibt. Etwas schwächer fallen (wie schon bei seinem Konzertdebüt in Gießen im letzten Oktober) die lyrischen Passagen aus. Peroš entfaltete seine mächtige Bühnenpräsenz ein paar Oktaven tiefer. Von wärmstem Timbre und Fülle auch noch in den tiefen Lagen war Marie Seidlers Cleofe. Sie konnte ihre enormen Gestaltungsfähigkeiten unter anderem in der fantastischen Sturmarie zur Geltung bringen. Aco Bišcevic, zuletzt am Gießener Haus in Tschaikowskis „Eugen Onegin“, gab einen jugendlichen, sehr stimmschönen Giovanni. Francesca Lombardi Mazzulli als Sängerin der Maddalena hatte ihre Stärken vor allem in den höheren Affektlagen; das Pastorale wirkte manchmal angespannt. Ergänzt wurde das Ensemble in den wenigen Chören durch Kyung Jae Moon. Der gewaltige Schlussapplaus galt außerdem erkennbar auch dem farbig und differenziert in Erscheinung tretenden Orchester, das mit sensiblem Gespür für die Spannbreite der Affekte musizierte. Wer die Ohren spitzte, konnte auch die Besetzungsfeinheiten genießen, die Hofstetter eingebaut hat – ein Tipp: auf den Teufel muss man achten.
Karsten Mackensen, 18.03.2019, Gießener Anzeiger