Wie endet die Gesellschaft? In den Weiten des Internets? Choreograf Tarek Assam gibt in seinem neuen Tanzstück »Metropolis – Futur drei« im Stadttheater Einblicke in eine Welt von morgen.
Musik pulsiert. Licht gleißt. Leiber zucken. Tarek Assam lässt es in seinem neuen Tanzstück »Metropolis – Futur drei« aus jeder Pore dampfen. Auf der Bühne rumort es auch aus Inhaltsgründen. Der Tanzdirektor wirft Fragen zur Zukunft der Menschheit auf. Wie hat sich die Industrialisierung auf die Gesellschaft ausgewirkt? Wie wird es die Digitalisierung tun? Und wie sieht die Welt in ein paar hundert Jahren aus? Assams Ideen werden am Samstag bei der Premiere im Großen Haus von der Tanzcompagnie des Stadttheaters eindringlich in Szene gesetzt. Am Ende gibt es Jubel und viel Applaus vom Publikum.
Zunächst ist da Fritz Lang mit seinem monumentalen Stummfilm »Metropolis« aus dem Jahr 1927. Der Streifen gilt mit seiner düsteren Zukunftsvision als Science-Fiction-Klassiker und steht mit der Dystopie Pate für den ersten Teil des Abends. Uniforme Arbeiter werden in einer Zweiklassengesellschaft von der Oberschicht ausgebeutet. Dämonische Maschinen halten die Megacity am Leben. Eine Roboterfrau bringt schließlich alles zum Einsturz. Inspiriert durch den Film, treten die Tänzer eine Tour de Force an. In drei Akten reflektieren sie eine vergangene, eine heutige und eine zu erwartende Vision von Zukunft.
»Futur eins« demonstriert in Anlehnung an den »Metropolis«-Film, wie der Mensch vor hundert Jahren sein elektrifiziertes Zeitalter konzipierte. Der kühle Maschinentakt, in dem die Arbeiter in ihrer hellgrauen androgynen Mechatronikeroptik agieren, erschöpft sich schnell. Caitlin-Rae Crook tanzt die Robofrau mit Hingabe. Damit jeder erkennt, dass sie synthetisch ist, klimpert ihr linkes Augenlid, auch wenn sie still steht. Ansonsten wird Crook zur Performanceattraktion eines akrobatischen Tatendrangs. Ihren Gegenpart als Erlöserfigur Maria verkörpert Julie de Meulemeester mit energischem femininen Anspruch.
»Futur zwei« betrachtet nach der Pause aus heutiger Sicht den digitalen Fortschritt. Die Musik nutzt dazu sphärische Klänge. Magdalena Stoyanova pulsiert zu Beginn archaisch um Rubiks Zauberwürfel – sein Rätsel ist gelöst, alle Seiten des Würfels zeigen nur eine Farbe. Die Gesellschaft allerdings ist zu monotonen Mutanten verkommen, die sich dank Computerisierung im Wiederholen der immer gleichen Textfetzen ergehen. Das 13-köpfige Ensemble tanzt dazu auf beachtlichem Niveau. Technisch ausgereift und synchron erscheinen die anspruchsvollen Gruppenszenen, imponierend die kurzen Pas de deux. Im Pas de trois gibt es unglaubliche Sprünge. Und keine rutscht so elegant ins Spagat wie Maria Adriana Dornio. Die Italienerin hat den Dreh raus und lässt immer wieder ihr Können aufblitzen.
Das Münchner Komponistenkollektiv 48nord steuert die Musik für den Abend bei. Es schwimmt munter auf der Elektronikwelle, webt hier ein Prise Psychedelic unter, dort ein Quäntchen Expressivität ein und lässt die Blasinstrumente hörbar atmen. Kapellmeister Martin Spahr bringt den steril wirkenden Sound mit seiner achtköpfigen Band »ensemble transformation« auf Trab. Bass, Schlagzeug, E-Gitarre, weitere Percussions samt Marimba und Vibrafon, Keyboards sowie Klarinette, Posaune und Tuba drücken auf die Tube. Die Musiker im schwarzen Zwirn sitzen hinter der Drehbühne im Off wie auf eine Schnur gespannt. Im ersten Teil des Abends sieht man sie gar nicht, im zweiten nur in einer kurzen Szene – Live-Musik, als optische Zutat verschenkt.
Bühnenbildner Fred Pommerehn hat den Tanzparcours in seinen drei Bildern »metallisch« gezeichnet, anfangs mit silbernen Maschinensäulen und senkrecht stehenden Neonröhren. Zum Ende hin wird die Deko rarer. Die kontrastreichen Kostüme stammen aus der kreativen Feder von Gabriele Kortmann. Sie schneidert leichte Leibchen und feine silberne Garderobenrudimente.
Der Abend mündet in »Futur drei«. In diesem kurzen Statement skizziert der Choreograf, wie sich künftige Generationen die Welt vorstellen könnten. Künstliches Leben heißt das Stichwort. Trotz der futuristischen Ausrichtung dürfen die Tänzer noch immer gestreckte Füße zeigen, die seit Neuestem im progressiven Bewegungstheater verpönt sind. Assam präsentiert blasenbehangene asexuelle Geschöpfe, die wie unter Drogen im Gegenlicht umherzucken. Schöne neue Welt – mal anders.
48nord zum Dritten
Nach der Vertonung von »Titus Andronicus – Ein Machtspiel« (2017) und des fernöstlichen Tanzreigens »Cross!« (2018) widmen sich die Sound-Spezialisten Ulrich Müller, Siegfried Rössert und Patrick Schimanski vom Komponistenkolletkiv 48nord in ihrer dritten Arbeit für das Stadttheater einem Zukunftsspektakel. Entstanden ist eine rumorende und flirrende Partitur, die auf Rhythmus setzt, nur kurz an frühe Kraftwerk-Klänge erinnert und dem Science-Fiction-Streifen »Dredd« aus dem Jahr 2012 (der mit Karl Urban und ohne Sylvester Stallone) das stampfende Schlagzeug abgelauscht hat.
Manfred Merz, 04.02.2019, Gießener Allgemeine Zeitung