Die vielfach preisgekrönte Autorin Ivana Sajko führt in Gießen erstmals Regie an einer deutschen Stadttheaterbühne. Am 10. Januar ist Premiere.
Der Name der Stadt Gießen sei ihr nicht unbekannt gewesen, erzählt Ivana Sajko. Doch das bezog sich, wie häufig in der Theaterszene, auf Prof. Heiner Goebbels und die bekannt gewordenen Adepten des Instituts für Angewandte Theaterwissenschaften. Und dass ihre Übersetzerin Alida Bremer vor Jahren an der Uni Gießen lehrte, auch das wusste sie. Aber sie kennt hier niemand persönlich, bis auf Chefdramaturg Harald Wolff. Als für die neue Spielzeit die Wahl auf Sajkos mehrfach ausgezeichneten Roman »Rio Bar« fiel, fragte er sie, ob sie nicht selbst inszenieren wolle. Ivana Sajko, die von der freien Theaterszene kommt, sagte zu. Sie übernimmt damit in Gießen ihre erste Regiearbeit an einem deutschen Stadttheater.
Ivana Sajko wurde 1975 in Zagreb geboren, als es noch das sozialistische Jugoslawien gab. Sie erlebte die gewaltsamen politischen Umbrüche, den sogenannten Jugoslawienkrieg Anfang der 90er Jahre, als junge Frau. Sie studierte in Zagreb Dramaturgie und Literatur. Dann entstanden diverse Texte für die Bühne, die theoretische Abhandlung »Auf dem Weg zum Wahnsinn (und zur Revolution)« sowie zwei Prosaromane. Sie gilt als wichtige Stimme ihrer Generation und Erneuerin der kroatischen Literatur. Dies spiegelt sich in ihrer Tätigkeit als Mitherausgeberin der Zeitschrift für Performative Künste »Frakcija« (Fraktion). Sie war Gründungsmitglied der Theatergruppe BAD co., mit der sie 2000 bis 2005 als Dramaturgin und Regisseurin arbeitete.
2016 kam sie mit einem DAAD-Stipendium nach Berlin, wo sie seitdem lebt. Im Juni 2018 wurden sie und ihre Übersetzerin Alida Bremer mit dem 10. Internationalen Literaturpreis ausgezeichnet für »Liebesroman« (2017); den hoch dotierten Preis vergibt das Berliner Haus der Kulturen der Welt alljährlich für Gegenwartsliteratur und ihre Erstübersetzungen.
Ihren ersten Prosaroman »Rio Bar« schrieb sie 2006, er fand in Kroatien große Beachtung. Die deutsche Übersetzung erschien 2008. Seitdem werden ihre Texte auch in deutschsprachigen Literatur- und Theaterkreisen viel diskutiert, die besondere Dichte und Körperlichkeit ihrer Texte werden hervorgehoben, so der Gießener Dramaturg Harald Wolff. Aber auf deutschsprachigen Bühnen umgesetzt wurden sie bislang nur selten. Für »Rio Bar« erscheint das nachvollziehbar, immerhin besteht der Text aus acht intensiven Nonstop-Monologen, bei denen man zunehmend unsicher wird, wer da eigentlich spricht. Es gibt keine dramatisierte Form für eine szenische Umsetzung, und Sajko hat auch für Gießen keine mitgebracht.
Nur eines war für sie von Anfang an klar: Es soll kein Lehrstück über den Krieg in Kroatien werden, obwohl dieser die Ausgangsbasis ihres sprachmächtigen Romans ist. Sie stellte sich und dem gesamten Team zu Beginn die Frage, was bleibt übrig, wenn wir alles weglassen, das sich konkret auf Kroatien bezieht. Wie können wir mit dem Roman hier und heute umgehen. Da sie die Autorin ist, ist sie frei, dies zu tun. »Theater ist Teamarbeit«, sagt sie in ihrer lebhaften Art. Alle Beteiligten sollten ihre Ideen äußern, gemeinsam haben sie das Stück entwickelt. Doch wie geht das? Sie schreibt schließlich auf Kroatisch, redet auch bei den Proben vorwiegend Englisch, aber das Stück wird auf Deutsch gespielt. »Es klappt«, lacht sie. Schließlich sei auch das ein Zeichen gelebter Internationalität. Und das Textskript für die Gießen-Aufführung hat sie aus ihrem Roman zusammengestellt.
Zum Inhalt: Eine Frau sitzt in einer Bar, denkt nach über ihre Erfahrung als Braut, deren Bräutigam direkt vor der Hochzeit in den Krieg eingezogen wurde. Sie lässt acht Frauen zu Wort kommen, mit unterschiedlichen Perspektiven. Es geht um Angst- und Ohnmachtsgefühle, um den Rückzug vor Angriffen zum eigenen Schutz. Nationalismen haben Konjunktur. Schuld sind immer die anderen, die Fremden, die unsere Ressourcen besetzen wollen. Das lässt sich als gemeinsamer Nenner ausmachen, der mittlerweile europaweit gilt. Auch in Deutschland. »Die Rio Bar ist überall«, sagt Sajko, sie ist Synonym für einen Szene- oder Künstlertreff. Dort spüre man gesellschaftliche Veränderungen als erstes, das könne sie aktuell auch in Berlin feststellen.
Dagmar Klein, 03.01.2019, Gießener Allgemeine Zeitung