Jugendstück „Ich heiße Ben!“ überzeugt auf taT-studiobühne durch sensible Annäherung an ein ernstes Thema
Passend zur dunklen Jahreszeit bringt die taT-Studiobühne ein Jugendstück heraus, dass sich mit dem schweren Thema der Trauerbewältigung auseinandersetzt: „Ich heiße Ben!“ überzeugte bei der Premiere am Donnerstagabend durch Abdul-M. Kunzes feinfühlige Inszenierung mit vielen surrealen Momenten sowie das temporeiche Spiel der glänzend aufgelegten Darsteller Anne-Elise Minetti, Lukas Goldbach und Tom Wild.
Das tragikomische Stück der dänischen Dramatikerin Anna Panduro erzählt einfühlsam und mit einem Schuss Humor die Geschichte der Brüder Tom und Ben, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während der sportliche Tom ein Mädchenschwarm und das Lieblingskind seiner fußballverrückten Eltern ist, steht der unscheinbare, hochintelligente Ben im Schatten seines Bruders.
Liebe zu Frankenstein
Dass die Beiden sich aller Rivalität zum Trotz dennoch mögen, wird gleich zu Beginn des packenden Stückes klar. „Echte Männer spielen Fußball“, sagt Ben und Tom entgegnet: „Ich freue mich schon darauf, wenn Du mal was echt Gutes erfindest.“ Eine Sache vereint die Brüder: Ihre Liebe zu „Frankenstein auf Zelluloid“. Szenen des alten Boris-Karloff-Klassikers aus dem Jahr 1931 wurden dazu in Gießen auf die Bühne projiziert, während Tom und Ben auf einem roten Sofa sitzend die Dialoge mitsprechen.
Als Tom bei einem Autounfall – auf der Bühne durch laut scheppernde Felgen dargestellt – ums Leben kommt, wird alles anders. Die Eltern wandeln zombiegleich durchs Haus und machen einander Vorwürfe. Auch Ben gibt sich die Schuld an Toms Tod. War er es doch, der Toms Fahrrad versehentlich kaputtgemacht hat, wodurch dieser mit dem Auto zum Fußballtraining gefahren werden musste. Und: Hat er sich nicht oft gewünscht, Einzelkind zu sein, wenn die Eltern mal wieder Tom den Vorzug gaben?
Keiner redet über das Unglück. Die Konfrontation mit dem plötzlichen Tod stellt für alle eine Herausforderung dar. Als die Eltern schließlich anfangen, Ben Tom zu nennen, sieht dieser sich gezwungen, zu handeln. Als begeisterter Leser von Wissenschaftsmagazinen sowie von Frankenstein inspiriert, beginnt er eine Methode zu entwickeln, um Tom wiederzubeleben. Hat dieser nicht einmal gesagt, wie „cool es ist, Menschen zu beleben, wenn sie tot sind?“
In einer grotesken Szene holt er nicht nur Tom aus dem Grab, sondern beginnt auch mit toten Tieren zu experimentieren. Darunter neben einer „überfahrenen Katze aus dem Leihgesterner Weg“ auch mit dem Kaninchen der neuen Nachbarin Sophia. Die Begegnung mit der Hobby-Psychologin stellt eine Wende in seinem Leben dar. Denn ihr gelingt es, den engstirnigen Eltern endlich die Augen zu öffnen und ihnen zu zeigen, dass sie mit Ben einen „besonderen Sohn“ haben. Am dramatischen Ende stellt auch Ben fest, dass es besser ist, ein Leben zu retten als ein Leben zu schaffen.
Abdul-M. Kunzes Inszenierung gelingt es auf skurril-humorvolle Weise, das schwere Thema Trauerbewältigung für ein junges Publikum nachvollziehbar aufzubereiten. Die Rolle des hochintelligenten Ben scheint Lukas Goldbach auf den Leib geschrieben zu sein, Anne-Elise Minetti und Tom Wild begeistern zudem durch ihre schnellen Rollenwechsel. Mal ist Minetti die trauernde Mutter Kirsten, mal die nervige Freundin Karla, mal die einfühlsame Nachbarin Sophia. Wild gibt den fußballverrückten Vater, der zugleich auch Trainer ist, ebenso gut wie den kumpelhaften, beliebten Tom oder den herzkranken Bruder von Sophia.
Der Bezug zum Frankenstein-Klassiker spiegelt sich nicht nur in den von Imme Kachel entworfenen Kostümen, sondern auch im Bühnenbild von Lukas Noll wider. Vor allem dann, wenn Ben durch sein wissenschaftliches Labor wuselt und nach Möglichkeiten sucht, seinen Bruder wieder lebendig zu machen.
Trotz aller Wort- und Spielwitze verliert die Tragikomödie für Zuschauer ab zehn Jahren nie ihr ernstes Thema aus den Augen. Der lang anhaltende Applaus des Publikums war mehr als verdient.
Petra Zielinski, 17.11.2018, Gießener Anzeiger