„Metropolis – Futur drei“ – Tanzabend von Tarek Assam mit der Tanzcompagnie Gießen
Die zweite große Tanzproduktion in dieser Spielzeit, und die Tanzcompagnie Gießen unter Leitung von Tarek Assam zeigte sich in Bestform. Der Blick war diesmal ganz in die Zukunft gerichtet: Ausgehend von Fritz Langs furiosem Stummfilm-Klassiker aus dem Jahr 1927 befassten sich sieben Tänzerinnen und sechs Tänzer mit dem Verhältnis von Mensch und Maschine und mit möglichen digitalen Formen des Daseins. Das schwarz-weiß-silberne Bühnenbild von Fred Pommerehn und die kontrastreichen Kostüme von Gabriele Kortmann erinnerten an die frühen Jahre des Films und ließen später den Assoziationen in Richtung Zukunft freien Lauf. Ein Tanzabend mit Live-Musik, komponiert von der Münchner Formation 48Nord. Eine eindrucksvolle Performance: Das Publikum bedankte sich mit minutenlangem Applaus und Bravorufen.
Spätestens seit dem 19. Jahrhundert hat die Idee vom künstlichen Menschen an Faszination gewonnen. Die fortschreitende Technik mit Erfindungen wie der Dampfmaschine hat deutlich gemacht: Der Mensch kann in vielen Bereichen durch Maschinen ersetzt werden, und zwar viel effektiver, als es sich frühere Generationen jemals vorstellen konnten. Der Mensch als Rädchen im Getriebe, das zeigt die erste Szene von „Metropolis-Futur drei“ eindringlich. Die Tänzer agieren hier als Masse oder auch als Individuen, die gegen die Gesetzmäßigkeiten der Mechanik aufbegehren. Gekleidet sind Männer wie Frauen in einfarbigen Arbeitskitteln, ein bisschen Farbe kommt durch die von allen bestaunte Roboterfrau (Caitlin-Rae Crook) ins Spiel. Widerpart bietet eine Arbeiterin (Julie de Meulemeester), die sich mit einer Gruppe von Kollegen der Maschine entgegenstellt. Eine unbekannte Heldin, die in „Metropolis - Futur drei“ ohne Namen bleibt. Ein Stück der kollektiven Auftritte und Ensembleleistungen – für Individuen und solistische Auftritte ist in dieser Welt der Zukunft kein Raum.
Die Mechanik ist durch das Bühnenbild im ersten Akt sehr präsent: Silbern schimmernde Pfeiler erstrecken sich bis in den Hintergrund des beleuchteten Raums und werden durch die Drehbühne in immer neue Positionen gebracht. Sie setzen das Koordinatensystem, nach dem sich die Menschen auszurichten haben.
Unterstützt wird die Bewegung auf der Bühne durch die Musik von 48 Nord, die sich auf die Stummfilmmusik der 1920er Jahre bezieht und sie mit modernen elektronischen Elementen verbindet. Das achtköpfige „ensemble transformation“ (Bläser, E-Bass, Keyboard und Percussion) setzt die Komposition virtuos und ambitioniert um. Die rhythmischen Klänge bestimmen nicht nur die Bewegungen auf der Bühne, sondern erfassen das Publikum bis in die oberen Ränge.
Die tänzerische Zeitreise wird im zweiten Akt fortgesetzt. Wir sind in der Gegenwart angekommen. Digitale Zahlenfolgen künden auf Schautafeln, dass die Welt der Computer und Roboter längst begonnen hat. Nach einer eigenen Choreographie bewegen sich silbern gekleidete Wesen durch den Raum. Ob es sich hier um Menschen oder Maschinen handelt, ist auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Wer beherrscht wen? Und was passiert an dem Tisch im Hintergrund? Der Schluss ist bedrohlich: Von oben senkt sich ein riesiges Gitter auf die Tanzenden nieder, die mit erschreckten Bewegungen versuchen, dem Unheil zu entkommen. Auch in diesem Akt zeigen sich die Tänzer hoch motiviert in gemeinsamen Figuren, Balanceakten, Kreisen. Wieder fordert die Automatisierung ihr Recht und lässt die Akteure wie vorprogrammiert vorbeimarschieren.
Wie stellt sich ein Mensch der Zukunft die eigene Zukunft vor? Der dritte Akt steigert noch einmal das Abstraktionsniveau, mit klarem Verstand lässt sich kaum vorhersehen, wie die Welt in 100 oder 200 Jahren aussehen könnte. So hebt sich der Vorhang zum dritten Akt, und der Zuschauer blickt erst einmal auf Nebelschwaden. Doch da sind auch Tänzer, sie tragen außer vielen kleinen Ballons nichts am Leib. „Futur III bleibt deshalb als fixe Idee im Raum stehen, weil es uns in einem Gedanken-Dilemma zurücklässt: Es zeigt Gespenster, Blasen, die es – erst in Zukunft – mit Sinn zu füllen gilt“, heißt es im Programmheft.
Ursula Hahn-Grimm, 04.02.2019, Gießener Anzeiger