»Capitalista, Baby« nach Ayn Rand macht im Stadttheater Furore
Altruismus sah Ayn Rand als »Sünde« an. Egoismus war für sie eine Tugend.Wenig verwunderlich, dass Donald Trump Rand als seine Lieblingsautorin benennt.Wie gefährlich ihre Theorien sind, zeigt »Capitalista, Baby«, das im Stadttheater zu sehen ist.
Es ist wenig wahrscheinlich, dass Donald Trump die 900 Seiten von Ayn Rands Roman »The Fountainhead« tatsächlich komplett gelesen hat. Doch ihre Philosophie des Objektivismus hat nicht nur den Präsidenten und seine »America first!«-Maxime geprägt, sondern sie auch zur Chefintellektuellen der amerikanischen Rechten gemacht.Weder die Tea Party noch Alan Greenspans Wirken als US-Notenbankchef wären ohne die 1982 gestorbene Kapitalismusverfechterin denkbar. In Amerika wird sie bis heute gefeiert, in Deutschland ist sie aber quasi unbekannt. Das wollen Tom Kühnel und Jürgen Kuttner ändern und haben mit »Capitalista, Baby« Rands Roman in eine Schauspielfassung gegossen. Am Sonntag hatte das Stück am Stadttheater Premiere, packend inszeniert von Katharina Ramser und mit einem famosen Bühnenbild von Michael Böhler.
Die von Rand 1941 veröffentlichte Geschichte um den rigorosen, frauenverachtenden und genialischen Architekten Howard Roark an sich ist eher dünn. Dass er am Ende eines seiner Bauwerke sprengt, weil er nicht bereit ist, auch nur den kleinsten Kompromiss einzugehen, ist eigentlich schon alles, was man darüber wissen muss. Über diese Schwäche kann auch die Bühnenfassung nicht hinwegtäuschen. Die Figuren bleiben klischeehaft und Sprachrohr der Rand-Propaganda.
Doch es ist der krude theoretische Unterbau, der hinter den Handlungen des »auf sich selbst fixierten Monsters« Roark und seiner Weggefährten und Widersacher steckt, der das eigentlich Interessante ist. Und dem gibt Ramsers Inszenierung ausreichend Raum. Hier ist die Arbeit wichtiger als der Mensch; der Erfolg des Einzelnen bedeutender als das Wohl der Gemeinschaft. Und die Welt wird nur in Schöpfer und Schmarotzer eingeteilt. Aber ist es nicht des Menschen Recht, sein Geschick nach eigenen Vorstellungen zu gestalten? Nach persönlichem Glück zu streben und unbeirrt sein Potenzial auszuschöpfen? Rands Thesen, die der charismatische Verführer Roark am Ende in einem Monolog auf den Punkt bringt, erscheinen auf den ersten Blick verlockend – und zwar nicht nur in Amerika. Doch bei genauerem Nachdenken wird klar, wie gefährlich sie sind.Wäre unsere Demokratie ohne Kompromisse möglich? Wie sähe die Welt aus, wenn tatsächlich jeder nur an sein eigenes Wohl denken würde? Und sollte die Forderung an den Staat, auf Reglementierungen in Wirtschaft und Gesellschaft weitgehend zu verzichten, wirklich die einzig akzeptable Gesellschaftsform sein? Hierzu gibt die Inszenierung – aber vor allem auch das von Dramaturg Harald Wolff mit Hintergrundinformationen klug konzipierte Programmheft – Denkanstöße. Dessen Lektüre ist ein Muss und zwingend für das Verstehen des Stücks.
“Während man Roarks Argumenten folgt, landet
man in einem Gefilde, in das man nie wollte„
Dramaturg Harald Wolff
Doch keine Angst: Trotz all des theoretischen Unterbaus und der durchaus ambitionierten Spieldauer von rund 160 Minuten ist »Capitalista, Baby« kein anstrengend moralinsaures Stück, sondern unterhält bestens. Daran hat neben Ramsers facettenreicher Inszenierung und dem bestens aufgelegten Ensemble auch das Bühnenbild von Michael Böhler großen Anteil. Die Schauspieler nutzen eine schwarz-weiße Mischung aus Pyramide und Architektenmodell für ihr Spiel. Auf einer der Flächen entstehen dank Videoprojektion (Tom Bernhard) im Zeitraffer kühn entworfene Architektenzeichnungen von Christoph N. Fuhrer. Das ist ästhetisch ein Genuss. Musikeinspielungen, die fast durchgängig New-York-Flair quer durch die Jahrzehnte erzeugen, tun ein Übriges. Lukas Goldbach gelingt das Kunststück, den Widerling Howard Roark als charismatischen Verführer glaubhaft zu machen. Er ist ein Genie, das voller Verachtung auf andere schaut und virtuos mit deren Gefühlen und Hoffnungen spielt. Doch seine Konsequenz beeindruckt auch und seine Handlungen sollen auf den ersten Blick niemandem schaden – und tun es im Endeffekt doch. Eines seiner Opfer ist die in barbierosa gekleidete Dominique Francon, der Anne-Elise Minetti trotz ihrer püppchenhaften Attitüde eine Randuntypische Tiefe verleiht. Hinter der coolen Intrigantin steckt eine zutiefst gedemütigte Frau, die das Leiden sucht, um sich überhaupt zu spüren.
Auch der wegen seiner Mittelmäßigkeit verhöhnte Architekt Peter Keating ist ein Opfer. Pascal Thomas spielt ihn als geckenhaft Charakterlosen mit komischer Note und findet dabei in Tom Wild, der den zwiespältigen Roark-Widersacher Elsworth Toohey gibt, eine perfekte Ergänzung. Roman Kurtz hat nach der Pause als Roark-Bewunderer und skrupelloser Zeitungsverleger Gail Wynand seinen großen Auftritt. Und Stephan Hirschpointner gibt den meist namenlosen Nebenfiguren einprägsame Gesichter.
Karola Schepp, 15.01.2019, Gießener Allgemeine Zeitung