Am Stadttheater kommt am 4. Mai die Oper »Alp Arslan« zur Uraufführung, ein Werk, das sich den Mechanismen menschlicher Gewalt über Klang annähert. Ausgehend von einer Geschichte aus dem Mittelalter beschäftigt sich die Oper mit orientalischen Welten, die uns viel näher sind als geahnt. Im Gespräch erläutern Richard van Schoor (Komposition) und Willem Bruls (Libretto) den Stoff, die Musik und ihren persönlichen Bezug zu dem Projekt.
Aus der Redaktion
Sie haben vom Stadttheater den Auftrag für eine Oper bekommen. Was war der Auslöser, gerade diese Geschichte gemeinsam zu erzählen?
Willem Bruls: Den Stoff hatte ich schon lange in der Schublade und wollte eigentlich einen Roman über meine Erlebnisse in Aleppo schreiben. Und als dann der Bürgerkrieg ausbrach und die Stadt zu einem großen Teil zerstört wurde, musste ich das für mich auf meine Art verarbeiten. Dass es ein Libretto geworden ist, war eher ein glücklicher Zufall. Eine gemeinsame Freundin hatte mich mit Richard bekannt gemacht hat. Als wir über mögliche Themen gesprochen haben, war schnell klar, was wir machen wollten.
Richard van Schoor: Mir war es wichtig einen Stoff zu haben, der uns auch heute etwas zu sagen hat und eine gewisse Aktualität besitzt.
In Bezug auf Aleppo ließen sich viele aktuelle Bezüge herstellen. Warum also ein historischer Stoff?
Bruls: Ein wichtiger Einfluss für mich war dabei Amin Maaloufs »Der Heilige Krieg der Barbaren«, in dem er die Kreuzzüge aus arabischer Sicht erzählt. Was er beschreibt zeigt, dass sich an den Mechanismen von Macht und Gewalt bis heute wenig geändert hat. »Alp Arslan« hat deshalb zwar einen historischen Kern, ist für mich aber gleichzeitig eine sehr heutige Geschichte.
Nun aber wieder erzählt aus westlicher Sicht?
Bruls: Es ist ein Thema, das mich schon seit Jahrzehnten beschäftigt. Der Nahe Osten, die Islamische Welt, die Konfrontation zwischen Ost und West. Ich habe Aleppo das erste Mal 2000 besucht und war sofort fasziniert von dieser Stadt. Zwei Jahre später kam ich dann noch einmal mit einem niederländischen Radioteam, um so viel wie möglich von der musikalischen Tradition aufzuzeichnen. Das war quasi die Basis für unser Projekt.
Wird es viel musikalisches Lokalkolorit geben?
Schoor: Ich wollte es zunächst neutral halten, ein abstraktes, minimalistisches Stück. Es ist natürlich zunächst einmal meine eigene musikalische Sprache. Im Laufe der Arbeit habe mich aber doch von Willem überzeugen lassen, dass wir diese speziellen Farben auch brauchen. Ich habe mich dafür mit den Aufnahmen, die er mitgebracht hat, auseinandergesetzt. Es war aber schon eine Herausforderung, eine Sprache zu finden, die all das von Anfang bis Ende beinhaltet, damit die originalen Motive nicht als Fremdkörper wirken.
Ost und West harmonisch vereint?
Schoor: Es gibt auch Momente, in denen ich das als Kontrast aufeinandertreffen lasse.
Bruls: Religion ist für die Menschen dort Identität. Und in unserer Oper finde ich den Gegensatz zwischen Christentum und Islam, der dort herrscht, sehr gut getroffen.
Der Arbeitstitel Ihrer Oper war »Aleppo«. Warum nun der Wechsel zu »Alp Arslan«?
Bruls: Ich denke, dass es vielleicht falsche Erwartungen geweckt hätte. Man kann keine Oper über eine ganze Stadt schreiben. Dafür ist das Thema zu groß. Für mich ist es schon auch eine Art Requiem für Aleppo. Aber zuallererst ist es eben eine Oper mit Menschen aus Fleisch und Blut, die eine sehr persönliche Entwicklung durchmachen.
Was macht den Sultan Alp Arslan zu einem opernwürdigen Protagonisten?
Bruls: Im Grunde ist der Eunuch Loulou die Hauptperson. Er ist ein Außenseiter, durch dessen Augen wir das Geschehen verfolgen. Aber auch, wenn es der Blickwinkel von Loulou ist, ist es Alps Geschichte, die wir erzählen.
Hilft der neutrale Blick von außen, den Titelhelden besser kennenzulernen?
Bruls: Ich habe versucht bei allen Charakteren auch das Zerbrechliche hineinzubringen und sie dadurch vielschichtiger zu machen.
Schoor: Alp ist innerlich sehr zerrissen. Das wollte ich natürlich auch in den Noten umzusetzen. Noch komplexer präsentiert sich allerdings Loulou. Das ist selbst für einen erfahrenen Sänger wie Dennis Lakey eine große Herausforderung. Er muss von der Baritonlage bis zum hohen A. Schon was den Umfang der Partie angeht, gibt es im Countertenor-Fach glaube ich bisher wenig Vergleichbares.
„Für mich ist es auch eine Art Requiem für Aleppo.
Aber zuallererst ist es eine Oper mit Menschen aus Fleisch und Blut“
Librettist Willem Bruls
Sie haben beide bereits Erfahrungen mit Literaturadaptionen. Wie fühlt es sich an, nun eine neue, eigene Geschichte zu erzählen?
Bruls: Man ist freier, hat aber auch mehr Druck, wenn man vor diesem leeren weißen Blatt sitzt.
Schoor: Ich glaube, dass man bei neuen Opern oft zu viel will und darüber den Fokus auf das Wesentliche verliert. Dieser unrealistische Anspruch, etwas zu erschaffen, was es noch nie zuvor gab. Noch größer, noch gewaltiger. Aber warum brauche ich 200 Musiker im Graben, wenn ich nicht weiß, was ich mit ihnen erzählen will. Das wichtigste ist eine gute Geschichte, die berührt.
Was macht ein gutes Libretto aus?
Bruls: Meiner Meinung nach haben viele moderne Opern zu viel Text und vergessen, dass auch die Musik Raum braucht. Letzten Endes geht es vor allem um eine gegenseitige Befruchtung von Text und Musik.
Schoor: Im Grunde ist es eine ganz simple Geschichte, die wir hier erzählen. Willem ist da sehr geradlinig und immer genau auf den Punkt, ohne sich in irgendwelchen Nebengedanken zu verzetteln. Er brennt für diesen Stoff, was die Arbeit natürlich erleichtert hat. Und wenn ich mir ansehe, in welch kurzer Zeit unser Stück entstanden ist, kann ich es selbst kaum glauben.
Komponist und Librettist
Der in Südafrika geborene Komponist Richard van Schoor realisierte für das Stadttheater Gießen bereits mehrere spartenübergreifende Projekte wie »Buch.Bühne.Büchner«, »Requiem« oder »Kronos und Kairos«. Librettist Willem Bruls gilt nicht erst seit seiner Abhandlung über den »Orientalismus auf der Opernbühne« als Spezialist für die Kultur des Nahen Ostens. Als Dramaturg arbeitete der Niederländer unter anderem für die Ruhrtriennale.
Proben haben begonnen
Diese Woche haben am Stadttheater die Proben zu »Alp Arslan« begonnen. Für das Ensemble und das Produktionsteam um Intendantin Cathérine Miville ein besonderes Projekt. Handelt es sich bei diesem vielschichtigen Auftragswerk doch um die erste abendfüllende Oper des Komponisten Richard van Schoor, die unter dem Dirigat des stellvertretenden Generalmusikdirektors Jan Hoffmann ihre mit großer Spannung erwartete Uraufführung feiern wird.
29.03.2019, Gießener Allgemeine Zeitung