Vier Doppelporträts, vier Episoden, vier Stimmungen ergaben eine Stunde charaktervollen Ausdruckstanz: Am Donnerstag bedachten die Freunde der Tanzkunst im vollbesetzten taT die Premiere von Daniel Goldins »Wegerzählungen« mit begeistertem Beifall.
Wir erinnern uns an Daniel Goldins Arbeit von 2013 »Von den Winden«, die er mit der Gießener Tanzcompagnie in Zusammenarbeit mit der Shenzen Dance Company herausgebracht hat. Die aktuelle Neueinstudierung von »Wegerzählungen« (Cuentos del Camino) mit dem Untertitel »Eine Tetralogie von Duetten« des langjährigen Münsteraner Ballettchefs entstand über viele Jahre und wirkt dementsprechend ausgereift. Reichhaltig im Bewegungskanon einer großen Palette von Emotionen, gleichermaßen elaboriert und auf das Wesentliche reduziert, provozieren die Stücke von jeweils etwa einer Viertelstunde Spannung bei den Zuschauern. Getragen von keltischer Folklore aus Irland und dem nordspanischen Galicien, bereichert vom seelenvollen Streicherthema (Alexander Borodin) sowie Musik von Emilio Cao und Antonio Seoane, entsteht bei aller Verknappung dennoch ein sinnliches Erlebnis mit nachhaltiger Wirkung. Windgeräusche geben Assoziationen frei bei den mehrdeutigen Titeln für die vier »Erzählungen« aus Klang, Tanz und Pantomime, die in ihrer Verdichtung eher Miniaturen sind. In der Unräumlichkeit kulissenfreier Dunkelheit, nur akzentuiert durch Beleuchtung, agieren vier Paare in alltäglicher Kleidung.
Mit »La Deriva« leiten Laura Avila und Yusuke Inoue den Abend verhalten ein. Unsicherheit, Zittern und zurückgenommene Körperpräsenz vergegenwärtigen die kaum zielgerichtete Charakteristik von »Treibgut« mit poetischen Einschüben durch Borodins elegisches Cello-Thema. Abrupte Bewegungen gehören ebenso wie geschmeidige Details zur Körperarbeit. »La Peregrinación« – die Wallfahrt – tanzen Maria Adriana Dornio und Sven Krautwurst mit Hingabe und (innerer) Selbstentblößung in intensivem Dialog; mühevolles Vorankommen wie Erschöpfung werden dabei thematisiert. Nicht ohne Humor ist die Realisierung von »La Sombra y la Luna« (Der Schatten und der Mond) mit Julie de Meulemeester und Patrick Cabrera Touman; besonders die Tänzerin fesselt mit ihrer teils irrwitzigen Zappelei – eine originelle Darbietung!
Voller Optimismus ist nun das vielleicht konkreteste Viertel des Abends, »Alborada«, der Tagesanbruch. Eine optische eigenständige Rolle spielt dabei Caitlin-Rae Crooks bodenlange weiße Spitzenstola, die dem volkstümlich daherkommenden Stück mit seiner hinreißenden Rhythmik eine schöne ästhetische Note gibt. Partner Gleidson Vigne ergänzt mit männlicher Eleganz den überbordend lebensvollen Paartanz. Ein wenig zu rot für einen Sonnenaufgang erstrahlte zuletzt die Beleuchtung, aber ein dramaturgisch höchst gelungener Abschluss dieser zeitlosen, anregenden »Wegerzählungen« war Alborada allemal.
Olga Lappo-Danilewski, 01.12.2018, Gießener Allgemeine Zeitung