Bigband des Hessischen Rundfunks erinnert im Stadttheater an den Trompeter Chet Baker – und erntet Begeisterungsstürme
Vor 30 Jahren starb der legendäre Jazz-Trompeter Chet Baker. Ihm zu Ehren gestaltete die Bigband des Hessischen Rundfunks einen Abend unter der Überschrift „Ode to Chet Baker“. Das Konzert am Samstagabend im Stadttheater war zwar nicht ausverkauft, die Stimmung aber großartig, der Beifall stürmisch.
Die glänzend disponierte Band arbeitete mit zwei musikalischen Schwergewichten zusammen. Die Leitung hatte der Belgier Bert Joris, sicherlich einer der renommiertesten Jazz-Trompeter Europas. Am Klavier trat ihm Enrico Pieranunzi zur Seite, eine Koryphäe auf seinem Instrument und nicht zuletzt ein großartiger Komponist. Der Italiener hat etliche Stücke für Chet Baker geschrieben und mit ihm auch eingespielt. Joris seinerseits wird hin und wieder direkt mit Baker verglichen. Er wäre aber kein echter Jazzer, hätte er nicht einen ganz eigenen Klang und eine eigene Sensibilität in seiner oft sehr lyrischen, melodiösen und schnörkellos-kraftvollen Gestaltung.
Trotzdem war er wie kein zweiter geeignet, an diesem Abend an Bakers große Auftritte zu erinnern – und zwar sowohl an diejenigen gemeinsam mit großen Bands, aber auch solche in kleinen Clubs. Der Grund sind neben seiner Trompetenkunst seine eleganten und vielseitigen Arrangements, die der Band genug Raum zur Entfaltung geben – recht komplexe Partituren sind es, die Joris da produziert –, aber immer wieder auch Klang und Besetzung auf einen essenziellen Kern zurückfahren und dadurch eine hautnahe Intensität erzeugen, dass man sich förmlich in die pulsierende Atmosphäre eines kleinen, überfüllten Jazzclubs versetzt fühlt.
Essenzieller Kern
Die Band spielte zwei Sets, die auf eine ganz besondere Weise an Baker anknüpften und auf ihn aufbauten. Denn es ging nicht einfach nur darum, Stücke noch einmal neu zu interpretieren. Etliche Nummern (alle mit einer Ausnahme komponiert von Pieranunzi) bezogen sich auf bestimmte Songs oder Situationen. Nach Bakers Tod zum Beispiel schrieb Pieranunzi „Chet“, in langsam an- und abschwellende Klangwellen gefasst in Joris’ Arrangement, elegisch, aber auch cool. „With my heart in a song“ reagierte auf Bakers „With a song in my heart“. „Soft Journey“, Titelsong des Albums von 1980, integrierte kompositorisch Chet Bakers Spiel selbst – Vorlage für den Bläsersatz stellte eine Transkription eines seiner Soli dar. Einen Meisterstreich möchte man „Echoes“ nennen, ein Widerhall auf den Song „Silence“. Zu dem zärtlichen Klavierpart in der Anmutung eines italienischen Liebeslieds verfertigte Joris ein barockes Stimmgespinst mit Flöten und Klarinetten – hier wurde klar, warum Pieranunzi über seinen Partner anmerkte, der sei ein Meister der Fuge und des Kontrapunkts.
Natürlich interpretierte die Band auch Klassiker wie etwa „Night Bird“, das in seinem synkopierten Drive fuchslebendig daherkam, oder „Fairy Flowers“, die wunderschöne Ballade, die einmal mehr Joris’ smoothem Ton Raum bot.
Viele Bandmitglieder traten ebenfalls mit eigenen Soli in Erscheinung; die Bigband ist eben auch ein Solisten-Ensemble. Man kann sie gar nicht alle nennen; erwähnt sei zumindest Hans Glawischnig am Bass (mehrfach) oder Axel Schlosser (Trompete) und Stefan Karl Schmid (Tenorsax) mit ihren impulsiven, energetischen Beiträgen in „Lucky Thirds“. Wir fassen zusammen: Das war ungeheuer lebendiger Bigband-Jazz vom Feinsten.
Karsten Mackensen, 08.10.2018, Gießener Anzeiger