Die Klarinette im Zentrum des Geschehens: Kammermusik-Matinée mit Werken von Mozart, Schulhoff und Crusell im Stadttheater-Foyer
So darf eine Kammermusik-Matinée sein: etwas für das Gefühl, etwas für die Freude an der Virtuosität - und nicht zuletzt etwas für die musikalische Horizonterweiterung. Mit Einfühlung und artikulatorischem Feinsinn gestalteten Musiker des Philharmonischen Orchesters das zweite Kammerkonzert dieser Saison, das wie üblich in der angenehm informellen Atmosphäre des Stadttheater-Foyers stattfand. Im Zentrum stand die Klarinette, gespielt von Thomas Orthaber, der im Orchester auch für die Bassklarinette zuständig ist. Mit ihm musizierten Gowoon Baek (als Gast) sowie Yi Xiao an den Violinen, Karolina Rybka (Bratsche) und Emily Härtel (Cello).
Die Klarinette hatte die Hauptrolle in Bernhard Henrik Crusells (1775-1838) drittem Klarinettenquartett in D-Dur und in Wolfgang Amadeus Mozarts (1756-1791) berühmtem Quintett in A-Dur, KV 581. Ergänzt wurden diese Werke durch die "Fünf Stücke für Streichquartett" von Erwin Schulhoff (1894 - 1942).
Ein Finne in Schweden
Mit dem Namen Crusell können vielleicht auch manche erfahrene Konzertgänger nicht sofort etwas anfangen, Klarinettisten kennen ihn hingegen als Virtuosen des Fachs aus der Zeit der frühen musikalischen Romantik. Der in Finnland geborene Komponist wirkte - auch und nicht zuletzt als Solist - am Stockholmer Hoforchester. Er selbst betrachtete sich zeitlebens nachdrücklich als Finne; seine Musik ist allerdings im besten Sinne europäisch zu nennen, in ihr spiegeln sich Einflüsse der wichtigsten Komponisten seiner Zeit von François Gossec bis Louis Spohr.
Das dritte Quartett gilt als eines seiner besten Stücke. Natürlich ist es auf die Ausdrucksmöglichkeiten und die virtuosen Techniken der Klarinette ausgelegt - und Orthaber nutzte die Gelegenheit, die ganze Palette seines Könnens auszuspielen, mit gewinnender Geläufigkeit in den Figurationen, mit großer Weichheit in den Kantilenen, mit Keckheit, wo es etwas Volkstümlicher wird.
Das war aber in die übergeordnete Einheit des Ensembles organisch eingebunden, das vom ersten Takt an zu großer Homogenität zusammenfand. Daraus entwickelten sich im Laufe der Sätze gut ausbalanciert die verschiedenen musikalischen Charaktere, der langsame Puls des zweiten, die frische Energie des dritten und der leicht gebremst galoppierende Drive des letzten Satzes.
Sehr zu Gute kam das konzentrierte Zusammenspiel auch dem Mozart-Quintett, in dem zwar ebenfalls die Klarinette im Vordergrund steht, dies aber in vielfältigem Austausch mit den anderen Beteiligten. Das verlangt allen musikalisch und technisch Einiges ab - und das Ergebnis konnte sich hören lassen. Ohne sich auf extreme Tempi einzulassen, gestalteten die Musiker das Gewebe mit Gefasstheit, dies zugunsten der Durchhörbarkeit auch noch bis in die feinsten Umspielungen hinein. Klangfarbliche Varianz diente der dialogischen Gestaltung, sei es zwischen Instrumenten (etwa Geige und Klarinette im zweiten Satz) oder zwischen Formteilen (Menuett und Trio im dritten Satz).
Die gestalterische Verwandlungsfähigkeit der Musikerinnen war auch das Rezept fürs Gelingen des Schulhoff-Quartetts (das die Mitte des Programms bildete), eine Folge von Charaktersätzen, die in teils ironischer Weise auf Tanztypen wie Wiener Walzer oder Tango Bezug nehmen. Vom Grotesken übers Spröd-Fahle, über Archaisch-Stumpfes bis hin zum Wilden der hoch motorischen Tarantella reichten da die Ausdrucksgebärden, die die Instrumentalistinnen mit sichtlicher Hingabe gestalteten. Gut, dass diese Musik, auf hohem Niveau typisch für die klassische Moderne des 20. Jahrhunderts, inzwischen wieder ihren festen Platz im Repertoire erlangt hat.
Karsten Mackensen, 22.01.2019, Gießener Anzeiger