Zweimal Bach, je einmal Bloch und Zemlinsky. Dirigent Rubén Dubrovsky reiht vier Klangperlen zu einer kleinen multikulturellen Kette der Sympathie aneinander. Das erste Sinfoniekonzert im Stadttheater nach der Sommerpause hat es in sich.
Am Schluss, zur Zugabe, lässt sich Dirigent Rubén Dubrovsky ein Cello reichen, nimmt neben der britischen Cellistin Natalie Clein vorn an der Bühne Platz und spielt mit ihr gemeinsam feinfühlig einen Jewish Song von Ernest Bloch. Das staunende Publikum applaudiert vehement. Zuvor markierte Blochs imponierende hebräische Rhapsodie »Schelomo« für Violoncello und Orchester den Höhepunkt des Abends. Clein und das Philharmonische Orchester Gießen formen unter Dubrovskys Dirigat ein pulsierendes, in seiner Innigkeit nicht zu übertreffendes Sound-Gemälde, in dem die Solistin mit druckvollem, hinreißendem Spiel Zeichen setzt, die das inspiriert agierende Orchester dankbar aufnimmt und in ein orgiastisches Finale treibt, um dann unerwartet verhalten zu enden. Dem jüdischen König Salomo hat Bloch sein Konzert gewidmet und damit zu Beginn des 20. Jahrhunderts jüdische Synagogalmusik in die abendländische Musiktradition integriert.
Im ersten Sinfoniekonzert der neuen Spielzeit reiht Dubrovsky am Dienstag mit Gefühl für den Augenblick vier Klangperlen zu einer kleinen Kette der großen Sympathie aneinander. Der in Buenos Aires geborene Dirigent ist als Ersatzmann für den erkrankten Generalmusikdirektor Michael Hofstetter eingesprungen, der das multikulturelle und multireligiöse Programm mit seiner Gegenüberstellung von christlicher und jüdischer Musik sowie Texten afroamerikanischer Lyriker zusammengestellt hat, das Dubrovsky nahtlos übernimmt. Werke von Johann Sebastian Bach, Alexander Zemlinsky und Bloch prägen den Abend im ausverkauften Großen Haus des Stadttheaters.
Bachs berühmte Kantate »Gottes Zeit ist die allerbeste Zeit« zu Beginn hat die unvermeidliche Tatsache des Todes, aber auch die lutherische Hoffnung auf das ewige Leben zum Inhalt. Das achtköpfige Kammerorchester musiziert mit Noblesse. Das Sängerquartett, bestehend aus Sopranistin Natascha Jung, Mezzosopranistin Marie Seidler, Tenor Shawn Mlynek und Bass Thomas Stimmel, gibt sich anschmiegsam. Danach bringt Clein mit intensivem, beinahe hartem Strich Bachs Cello-Suite Nr. 1 G-Dur zu Gehör, eins der ersten und schönsten Solowerke für Cello überhaupt.
Zemlinskys »Sinfonische Gesänge« aus dem Jahr 1929 setzen auf die Spätromantik. Von den Nationalsozialisten verfolgt, starb der österreichische Jude 1942 im New Yorker Exil. Mit Anleihen an den Jazz und progressive Neutönigkeit übersetzt Zemlinsky in seinem Werk die teils wütenden Texte aus der Gedichtsammlung »Afrika singt« in Klangkaskaden, die drastisch die Ungerechtigkeiten gegen die Schwarzen beim Namen nennen. Bass Thomas Stimmel singt mit beachtlicher Textverständlichkeit. Keine leichte Kost, jedoch ein veritabler Einstieg in die neue Konzertsaison.
Manfred Merz, 29.08.2018, Gießener Allgemeine Zeitung