Viertes Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters im Stadttheater
Passend zum Beginn der Adventszeit erklangen im vierten Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters geistliche Chorwerke des 19. Jahrhunderts. Unter der flüssigen und klaren Leitung des langjährigen Chordirektors und stellvertretenden Generalmusikdirektors, Jan Hoffmann, fügten sich mehrere Ensembles zu einem erfreulich homogenen Klangkörper. Dazu gehören neben Chor, Extrachor und Orchester des Stadttheaters noch der Gießener Konzertverein und die Wetzlarer Singakademie.
Auf dem Programm im Großen Haus standen Werke von Felix Mendelssohn Bartholdy und Giacomo Puccini – und damit zwei ganz unterschiedliche Welten geistlicher Musik. Und zwar nicht nur stilistisch – mit der romantischen Kompositionsweise bei dem einen, einer veristischen Klangwelt bei dem anderen –, sondern auch konfessionell: Die Präsenz von feierlich-strengen Luther-Chorälen in Mendelssohns Musik eröffnet eine andere Form der Spiritualität als die ausladende Opulenz der katholischen Messvertonung Puccinis.
Eines haben sie dabei sicherlich gemeinsam: Bei aller Erbaulichkeit sind sie nicht primär für die Kirche komponiert; ihr wahrer Ort ist der Konzertsaal. Dieses scheinbare Paradox – einer geistlichen Musik in einem weltlichen Umfeld – setzen die beiden Komponisten in sehr unterschiedlicher Weise um.
Die Ouvertüre zum Oratorium „Paulus“ machte den Anfang. Sie führt unmittelbar in die zwischen asketischer Strenge und romantischem Klangzauber angesiedelte Welt Mendelssohns, wie sie kompositorisch nicht zuletzt geprägt war durch seine Auseinandersetzung mit Johann Sebastian Bach.
Sinnliche Spiritualität
Das ist nicht zu überhören, zum Beispiel in der Fuge (schlank und durchhörbar im Orchester). Passend zur Weihnachtszeit folgte die „Geburt Jesu“ aus dem späten und unvollendeten Oratorium „Christus“ mit seinem bestechend schlichten Männer-Terzett „Wo ist der neugeborne König der Juden?“ und dem vertrauten Choral „Wie schön leuchtet der Morgenstern“. Der erste Chor aus der Kantate „Vom Himmel hoch“ bildete den Abschluss dieses Teils – diese Nachricht ließ Hoffmann musikalisch zunächst fast gemächlich herniedersinken; der Nachdruck der Fuge und die Pauke im Schlusschoral klangen unterschwellig bedrohlich.
Weniger streng geht es von Anfang an bei Puccini zu; der erste Ton schon versetzt in die klangliche Sphäre des Verismo. Nach kurzer Zeit fand auch das Orchester in den Tonfall des Kyrie mit seinen kantablen Lyrismen hinein. Die Linien gestaltete Hoffmann fließend und ohne unnötige Stauungen; der Chor folgte ihm gut.
Den Höhepunkt in jeder Hinsicht dieses Werks bildet dann das umfangreiche Gloria, nach dem die Messe auch häufig als „Messa di Gloria“ bezeichnet wird – einfach, weil das Stück so spektakulär ist. Man muss nur die Augen schließen und fühlt sich sofort in eine dramatische Opernszenerie versetzt, ungeheuer lebendig, lebensnah ist dieser Jubel, gänzlich weltzugewandt, wäre da nicht der lateinische Text. Dies ist eine sinnliche Spiritualität, die sehr viel mit ganz irdischem Leben und Lieben zu tun hat.
Beschwingt, fast zum Mitsingen einladend, geriet der langsame Marsch im „Qui tollis“. Das „Gratias agimus tibi“ gestaltete der albanische Tenor Adrian Xhema dementsprechend theatral mit Schmelz und Süßigkeit in der Stimme. Am Gießener Haus war er unter anderem schon als Turiddu in Mascagnis „Cavalleria rusticana“ zu hören und es ist genau diese Stimmqualität, die auch Puccini braucht. Grga Peroš, Mitglied des Gießener Ensembles, übernahm den Bariton-Part; stimmgewaltig und von großer Klarheit etwa im „Crucifixus etiam pro nobis“. Das „Dona nobis pacem“ gestaltete das Ensemble in ruhig schreitendem Duktus, ohne Hast ausklingend.
Karsten Mackensen, 06.12.2018, Gießener Anzeiger