Dieser »Figaro« ist ein Glücksfall fürs Haus. In der Inszenierung von Thomas Goritzki feierte Mozarts Oper bereits im Jahr 2011 am Stadttheater Premiere. Die Neuauflage hat an Humor hinzugewonnen.
Bravissimo! Wolfgang Amadeus Mozarts Oper »Die Hochzeit des Figaro« ist auch 2018 ein Erfolg. Die Wiederaufnahme der Regiearbeit von Thomas Goritzki aus dem Jahr 2011 nennt das Stadttheater »eine Weiterentwicklung der Originalinszenierung«. Weiterentwickelt hat sich der Spaß, den das burleske Stück dem Publikum bereitet. In den ersten beiden Akten gelingt das Timing prächtig. Musikalisch gebührt den Sängern mit ihrem spannungsreichen Septett vor der Pause die Krone. Im zweiten Durchgang, in den Akten drei und vier, muss die Oper erst wieder Fahrt aufnehmen.
Am Schluss wird dem intriganten Treiben ein versöhnliches Ende bereitet, das im Jahr der Uraufführung 1786 im Libretto von Lorenzo Da Ponte nach dem Beaumarchais-Stück »Der tolle Tag« die Zeit vor der Französischen Revolution aufs Korn nimmt. Es geht dem bräsigen Adel und seinen Privilegien an den Kragen – dank eines unter dem Einfluss der Aufklärung stärker werdenden Bürgertums.
Die erste der drei Opern, die Mozart mit dem venezianischen Textdichter schrieb, mauserte sich am Berliner Platz bereits vor sieben Jahren dank ihres Schabernacks zu einem Glücksfall. Der »Figaro« vom Premierensamstag zählt nun zu den Höhepunkten der aktuellen Spielzeit. Nach der launigen »Così fan tutte«-Inszenierung 2017 und dem hadernden Frauenverführer »Don Giovanni« zu Beginn der vergangenen Saison beschließt das Stadttheater damit die Mozart-Da-Ponte-Opern-Trilogie unter Generalmusikdirektor Michael Hofstetter.
Für Schauspielregisseur Goritzki ist es die erste Operninszenierung – und bislang auch seine letzte. In den vergangenen Jahren traute offenbar niemand dem verschmitzten Haudegen eine weitere zu. Dabei versteht sich der Theaterfuchs auf Personenführung. Sein Motto zur Wiederaufnahme »neue Menschen, neue Wahrheiten« setzt er um. Durch die nunmehr Mitwirkenden erhält dieser »Figaro« ein frecheres Gesicht. Die Opera buffa mausert sich noch weiter zu einer albernen, aber kurzweiligen Komödie.
Die Bühne wird zur Spielwiese für amouröse Zweisamkeiten. Im Hintergrund markieren batikbunte Bahnen aus Stoff den Horizont. Runde Holzpodeste aus dem Shakespeare’schen Kosmos sowie frei im Raum stehende Türen und Fenster bilden mal das eine, mal das andere Zimmer. Die Garderobe der Protagonisten (Bühnenbild und Kostüme: Heiko Mönnich) mit den kleinen aus der Zeit fallenden Details bürgt für Qualität.
Auf der kargen Holzdeko wird expressiv gesungen und gespielt. Als Mime ist der ehemalige Stuntman Alexander Hajek eine Wucht. Der gern gesehene Gast aus Kanada hat das komödiantische Fach für sich gepachtet und verfügt über körperliche Spannkraft. Stimmlich bleibt der Bariton in dieser Bass-Partie oft eine Spur zu leise. Das liegt nicht zuletzt am Orchester, dessen Lautstärke Hofstetter hin und wieder eine Idee zu weit aufdreht. Das macht auch der Susanna von Sopranistin Naroa Intxausti zu schaffen, der man den Spaß an ihrer Rolle anmerkt. Im vierten Akt erhält sie für die Arie »Giunse alfin il momento« (Endlich naht die Stunde) den längsten Szenenapplaus.
Sopranistin Francesca Lombardi Mazzulli zeigt als Gräfin Statur. Ihre Arie »Porgi, amor, qualche ristoro« (Die Quelle reiner Triebe) im zweiten Akt geht unter die Haut. Marie Seidler glänzt mit ihrem ausgefeilten Mezzosopran in der Hosenrolle des Cherubino. Christin Kullmann gehört dem Opernchor an. Mit ihrem klaren, in der Höhe etwas spitzen Sopran ist sie als Barbarina die Neuentdeckung des Abends.
Mit Grga Peroš gibt ein 28-Jähriger den Grafen Almaviva als wäre es eine Selbstverständlichkeit. Die Stimme des Baritons hat sich entwickelt, er beherrscht das Lyrische und zeigt im Dramatischen Potenzial. Tomi Wendt zieht als kahlköpfiger Doktor Bartolo wie 2011 dank seines komödiantischen Könnens die Blicke auf sich. Alle übrigen Solisten singen wie der Chor des Stadttheaters (Einstudierung: Jan Hoffmann) sauber.
Das Philharmonische Orchester Gießen im Graben musiziert unter Hofstetter stilsicher. Der Generalmusikdirektor extrahiert die rhythmischen Nuancen der Partitur und gibt flotte Tempi vor. Die Streicher klingen nach perlender Perfektion. Die Bläser indes leiden ein wenig unter der Philosophie ihres Dirigenten, der bei Trompeten und Hörnern der Zeit entsprechend auf Naturinstrumente und ihren vermeintlichen Wohlklang setzt.
Zwischen dem ersten und zweiten Akt bieten Wendt und Sopranistin Heidrun Kordes als Plaudertasche Marcellina vor dem Vorhang ein humoriges Zwischenspiel auf Deutsch. Am Ende der Oper brandet im ausverkauften Haus begeisterter Beifall mit Standing Ovations auf.
Manfred Merz, 24.12.2018, Gießener Allgemeine Zeitung