Witzig, unterhaltsam, klug: Der Jugendclub „Spieltrieb“ geht auf der taT-Studiobühne der Frage nach, was seine Generation ausmacht
Können Sie sich auch nur noch bruchstückhaft an die schon länger zurückliegenden wilden, wirren und verwirrenden Jahre der Pubertät erinnern? Sind Sie auch der Meinung, so langsam den Kontakt zu den Heranwachsenden zu verlieren? Haben Sie sich auch schon immer gefragt, warum die Teenager von heute dauernd irgendwas ins Smartphone tippen? Und vor allem: was?! Dann sind Sie bei der aktuellen Inszenierung des Jugendclubs „Spieltrieb“ genau richtig. Denn die Talentschmiede des Stadttheaters geht in ihrem Stück „Networked – Selfie der Generation Z“ der Frage nach, was die eigene Altersgruppe ausmacht – jetzt feierte die 17. Produktion des Jugendclubs ihre vom Publikum begeistert gefeierte Premiere.
So richtig überraschend ist das zunächst nicht: Zu Beginn des rund 80-minütigen Stück dreht sich erst einmal alles um das Smartphone. Da gibt es etwa den Klassen-Chat, in dem einer der Gruppenmitglieder auf die Idee kommt, den anderen „Frohe Ostern!“ zu wünschen. Und schon geht der Wahnsinn los: Ein Dutzend junger Darsteller bildet den Chat-Kreis, indem alle Schulter an Schulter nebeneinanderstehen und sich bei jeder neuen Message samt akustischem Absende-„Bing!“ zwei Trippelschritte weiterdrehen. Ein Osterwunsch jagt den nächsten (Bing! Bing! Bing!), bis Leonie in die Gruppe fragt, was das denn alles soll – und dafür reichlich Unverständnis erntet: „Chill doch mal!“ Das Ende dieser kleinen Geschichte: „Leonie hat die Gruppe verlassen.“
Es sind kurze, aneinandergereihte Spielszenen wie diese, in denen sich die jugendlichen Darsteller im Alter zwischen 12 und 20 Jahren mal auf witzige, mal auf kluge und immer auf ehrliche und mutige Weise mit sich selbst befassen. So entsteht eine Generationscollage, in der einem älteren Publikum manches fremd und kurios, vieles aber durchaus vertraut vorkommt. Denn es ist ja nicht nur das Smartphone, dass die Jugend von heute beschäftigt. Zeitlose Themen, die vom Jugendclub thematisiert werden, sind Rausch und Drogen, Mobbing und Ausgrenzung und vor allem – die Bühnenklassiker – Freundschaft und Liebe.
Manches wird dabei pointiert in knappster Form angedeutet. Wenn etwa ein Mädchen mit einem „Free Hugs“-Schild und dem Angebot kostenloser Umarmungen in der Bühnenmitte steht und die vorbeischlendernden Jugendlichen mal gelangweilt, mal verschämt wegschauen, mal spotten – oder die Offerte körperlicher Nähe dankend annehmen. Anderes wird überzeugend in mehrere, das Stück durchziehende Kapitel aufgeteilt. So gibt es etwa zwei Pärchen, die berührend von den ersten Momenten des Kennenlernens und Verliebens erzählen, in denen ein Blick etwa 2,4 Sekunden – und damit „unendlich“ lange – dauern kann. Die irgendwann gemeinsam unter der Bettdecke landen und erst einmal alle Gliedmaßen in die richtige Reihenfolge bringen müssen. Und die schließlich vielleicht auseinandergehen, weil sich Routinen eingeschlichen haben, weil Langeweile die Romantik abgelöst hat – oder weil man sich einfach nicht mehr versteht.
Zum Start dieses Stücks hatte das Leitungsteam des Jugendclubs, Kinder- und Jugendtheaterleiter Abdul-M. Kunze, Musikpädagogin Masae Nomura und Ex-Jugendclub-Mitglied Tyjana Krumke, die insgesamt 28 Jugendlichen eingeladen, sich mit ihrer Generation auseinanderzusetzen und eigene Themen in ihrer Sprache zu formulieren. Das ist eindrucksvoll gelungen.
So überzeugt ihr Stück „Networked“ als wahrhafter Ausdruck eines Lebensgefühls, dessen emotionale Ausschläge weit größer sind als bei den allzu abgeklärteren älteren Jahrgängen – und zwar in alle Richtungen. Gerade diese direkte Herangehensweise macht den besonderen Charme des gewitzten, temporeichen Selbstbefragungsstücks aus. Am Ende bleibt beim (älteren) Zuschauer das Gefühl, dass man Glück hatte, vielleicht doch nicht als „Digital Native“ aufgewachsen zu sein, und sich ansonsten um diese wache, reflektierte Generation wohl keine Sorgen machen muss.
Björn Gauges, 30.04.2019, Gießener Anzeiger