Bei „Poetry Slam vs Stadttheater“ traten Wortpoeten und Theaterkünstler gegeneinander an
Ein nie dagewesenes Spektakel ereignete sich am Freitag im Gießener Stadttheater: Poesie-Ikone Lars Ruppel rief zur künstlerischen Konfrontation „Poetry Slam vs Stadttheater“ auf. Drei Wortpoetinnen und -poeten folgten Ruppels Aufruf. Ihre Kontrahenten waren eine Sopranistin, ein Schauspieler und ein Tanz-Duo. Es sollte sich eine Show entwickeln, die noch kein Poesieliebhaber gesehen hat.
Als das Licht gedimmt wurde, betrat Moderator Ruppel die Bühne und löste mit seinem humorvollen Charme jedes aufgeregte Gefühl beim gespannten Publikum. Zum Aufwärmen gab er das obligatorische Opferlamm, und dann betrat der erste entschlossene Poet des Abends die Bühne: Florian Hacke, genannt Lange. Sein Text „Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit“ ist wohlformulierte Kritik an der Rollenverteilung und alten Statuten, denen er im Zuge seiner Elternzeit überall begegnet. Die Antwort des Stadttheaters gab das Tanz-Duo Mamiko Samurai und Patrick Cabrera Touman. Ihre ausdrucksstarke Performance, in der sie ihre rhythmischen Bewegungen ineinanderfließen ließen, fesselte das fokussierte Publikum.
Als nächstes traten der Poet Wehwalt Koslovsky und Schauspieler Maximillian Schmidt gegeneinander an. Ersterer überzeugte durch sprachliches Geschick, doch war es schwierig, seiner Geschichte zu folgen. Schmidt inszenierte in seiner Darbietung die unterschiedlichen Regisseure, die einem als Schauspieler begegnen. Seine Roben- und Rollenwechsel amüsierte das Publikum prächtig. Es folgte die Poetin Linda Gabriel aus Simbabwe, die Geschichten über Frauen und Mütter ihrer Heimat erzählte. Intensive Gebärden und schonungslose Worte drangen tief durch Mark und Bein der Zuschauenden. Die Stille unterbrach erst mit dem schallenden Applaus für ihre sehr authentische Darbietung. Abschließend erschien Sopranistin Naroa Intxausti. Ihr Gesang war sicherlich für viele Besucher etwas Neues. Drei Lieder zum Thema Liebe gab sie zum Besten und entfaltete dabei ihr großartiges Repertoire an stimmlichem Potenzial, was durch tosenden Applaus gewürdigt wurde.
Nach den Auftritten stand das große Finale an, in dem sich die beiden Besten der konkurrierenden Künste gegenüber- stehen sollten. Für das poetische Team war das Linda Gabriel und für das Stadttheater setzte sich Maximillian Schmidt durch, der aufgrund von Punktegleichheit erst noch ein spannendes „Schere, Stein, Papier“ gegen Sopranistin Intxausti gewinnen musste.
Gabriel drang auch in ihrer zweiten Runde in die Herzen der Zuschauer ein. Sie berichtete von schlechten Erfahrungen mit Männern und dem Schritt raus aus dieser emotionalen und körperlichen Spirale – „I feel my body awakening“.
Schmidt entschied sich für einen Monolog in Gestalt des geblendeten Ödipus. Sicherlich verbreiteten seine Worte Spannung, doch knüpfte er nicht an seine vorherige Leistung an. Somit wurde Linda Gabriel zur verdienten Siegerin gewählt.
Es war ein aufregender Abend mit vielseitigen Auftritten der unterschiedlichen Charaktere. Der Vergleich ihrer Künste war eine schwierige Aufgabe, doch sicher ist: Es lohnte sich!
Alexander Günter, 03.06.2019, Gießener Anzeiger