Welturaufführung in Gießen: Komponist Richard van Schoor hat für das Stadttheater die Oper „Alp Arslan“ geschrieben
Opernkomponisten haben meist einen großen Nachteil: Wenn wir Inszenierungen ihrer Werke sehen und hören, sind sie schon lange tot. Doch es muss ja nicht immer Mozart oder Verdi sein. Das Stadttheater Gießen beauftragte vor rund einem Jahr – erstmals in seiner Geschichte – Richard van Schoor mit einer Komposition, die nun vor ihrer Welturaufführung steht: „Alp Arslan“. In einer Probenpause fand der gebürtige Südafrikaner Zeit für ein ausgedehntes Gespräch über die Bedeutung des Textes, die Zukunft der Oper und den Grund, warum er seine Pianistenkarriere beendet hat.
Herr van Schoor, Sie kommen gerade aus einer Probe. Entsprach das, was Sie dabei gehört haben, denn auch Ihren Erwartungen als Komponist?
Das Orchester klang sehr gut. Jetzt setzt es sich erst einmal mit der Musik auseinander, um ihre Bedeutung zu erfahren. Danach geht es darum, die Klangästhetik detailliert auszuarbeiten. Die Arbeit an diesem bestimmten Klang, wie ich ihn mir vorstelle, ist eine komplexe Angelegenheit und braucht seine Zeit.
Hatten Sie bei der Entwicklung des Stücks das Gießener Orchester bereits eingeplant?
Ja, ich habe die Besetzung genutzt, die das Haus zur Verfügung hat. Aber mir wurden auch persönliche Wünsche gestattet. So habe ich einen Cellisten mitgebracht, der Sachen umsetzen kann, die kaum notierbar sind. Er bringt elektronisches Equipment mit, kann auch Klänge verfremden, spielt Oud (arabisches Lauteninstrument) und Vielle (Fiedel). Als Ergänzung haben wir auch vier syrische Musiker sowie einen Sänger dabei, der vor vier, fünf Jahren noch in Damaskus gelebt hat. Diese Musiker kann man nicht reinkomponieren. Die bringen diese Welt mit, um die es ja im Stück geht.
Waren Sie denn mit der orientalischen Musiktradition vertraut?
Ein bisschen, ja, aber vor längerer Zeit. Jetzt habe ich mein Wissen noch einmal stark vertieft, mich etwa mit den unterschiedlichen Tonleitern befasst. Was die Sache kompliziert macht, sind die vielen verschiedenen Ebenen, die sich im Stück, auf und hinter der Bühne, mischen.
„Alp Arslan“ ist Ihre erste abendfüllende Oper. Erfahrung mit dem Gießener Orchester haben Sie ja bereits gesammelt. Was ist anders, wenn man eine Oper schreibt?
Es ist einfach viel mehr Arbeit (lacht). Es sind nicht die Ideen, es ist nicht der Stoff, sondern das, was man auf Papier bringen muss in der Zeit, die man zur Verfügung hat. Die Sache ist ja vor einem Jahr aus dem Nichts entstanden. Der Librettist Willem Bruls und ich kamen aber sehr schnell auf einen gemeinsamen Nenner.
Kannten Sie sich vorher schon?
Nein. Ich hatte zunächst nicht das Gefühl, ich muss unbedingt eine Oper schreiben. Aber wenn, dann war meine Bedingung, dass es mit dem Librettisten harmonieren muss. Ich habe viel Musik geschrieben, manches davon hatte schlechte Texte. Deshalb habe ich entschieden, dass ich so etwas nicht mehr mache. Wenn das Libretto gut ist, funktioniert die Arbeit, sonst wird es ein Kampf.
Wie kann man sich Ihre Zusammenarbeit vorstellen?
Wir haben oft gemeinsam überlegt, dann ging es hin und her. Willem hat eine große Liebe für die arabische Welt. Er hat für den niederländischen Rundfunk tolle Aufnahmen gemacht. Für eine Reportageserie 2002 hat er Musik unter anderem in Kirchen aufgenommen, die heute nicht mehr stehen. Das war für mich eine bedeutende Grundlage. Dabei wollte ich das Stück eigentlich minimalistisch, nüchtern halten, denn bei solch einem Thema kann man leicht ins Klischee abdriften, in „Tausendundeine Nacht“ oder „Lawrence von Arabien“.
Wie vermeidet man den kolonialistischen Blick, wenn man solche arabische Musikelemente verwendet?
Das ist schwer. Anders als in der Literatur oder der bildenden Kunst bekommt man in der Musik immer das Gefühl vermittelt, man müsse alles neu erfinden, keinen Akkord nutzen, den es schon vorher gab. Es soll ganz neu klingen. Auf dieser völlig unrealisierbaren Ebene versuchen Komponisten immer wieder, Welten zu entdecken, die erschöpft sind. Was einem also übrig bleibt, ist allein die Erzählform und der ehrliche Umgang mit Emotionen. Bewegt man sich nur auf der intellektuellen Ebene, versagt man. Stilistisch ist es die Aufgabe den Komponisten, eine Sprache zu finden, die nicht eklektisch wird und sich zwischen den Ebenen verliert. Ich hoffe, dass „Alp Arslan“ eine eigene Sprache bekommen hat.
Wie sind Sie überhaupt zum Komponieren gekommen?
Ich glaube, das war ein bisschen wie bei Johann Sebastian Bach: Komponieren als Gebrauchsmusik für die eigenen Zwecke. Ich bringe den Vergleich jetzt nur auf dieser Ebene (lacht). Ich habe viele Jahre als Pianist gearbeitet und irgendwann das Gefühl gehabt, dass ich das gesamte Repertoire gespielt habe, das ich spielen wollte. Außerdem gab es da so viele brillante Pianisten, dass ich dachte: Muss ich mich da weiter abkämpfen?! Hinzu kam eine Verletzung, die 1993 durch intensives Üben entstand: ein Karpaltunnelsyndrom. Ich konnte danach drei, vier Jahre überhaupt nicht mehr spielen. Selbst die Jacke knöpfen oder Taschen zu tragen war damals schwierig. So fing ich mit Chor- und Orchesterarbeit an, habe meine Dissertation geschrieben, später auch wieder mit dem Klavier angefangen und viel konzertiert. 2010 habe ich dann innerhalb eines Monats ein großes Werk komponiert, ein Klavierkonzert gespielt und eine Opernproduktion dirigiert – und mich so verausgabt. So dachte ich mir: Das Klavier ist ein eifersüchtiger Liebhaber, da kannst du nichts anderes daneben machen. So entschied ich, aufzuhören. Seit 2006 habe ich Kompositionsaufträge bekommen, es ging immer weiter und hat sich so entwickelt. Ich schreibe jetzt an einem Bühnenwerk für Halle 2019 und Lübeck für 2020. Es gibt keine Zeit mehr für anderes. Das ist sehr schön, denn da wird man ruhig.
Welche Vorgänger als Komponisten haben Sie beeindruckt?
Alle! Okay, müsste ich einen auf die einsame Insel mitnehmen, wäre es Bach, weil so viel drinsteckt, mit dem man sich beschäftigen kann. Deutschland habe ich gewählt, weil Musik hier – immer noch – so einen einmaligen Stellenwert hat. Deswegen lebe ich hier.
Sind Stücke mit Zeitbezügen wie „Alp Arslan“ eine Möglichkeit, die Oper für die Zukunft zu erhalten?
Aktuelle Themen sind eine Chance, das Publikum zu locken. Es werden auch viele neue Stücke geschrieben. Aber wenn es funktionieren soll – das klingt jetzt vielleicht etwas seicht – muss es ehrlich sein. Ich weiß nicht, wie die Zukunft der Oper gesichert wird. Würde aber naiv behaupten, es funktioniert, wenn die Leute nicht Angst haben, mit Gefühlen und Inhalten konfrontiert zu werden, die uns alle angehen. Alle sterben, alle werden krank. Wenn man sich traut, diese Sachen zu spüren, dann wird Oper eine Zukunft haben.
Letzte Frage: Schon nervös wegen der Welturaufführung?
Nein (lacht). Nur noch erleichtert.
VORSTELLUNG
„Alp Arslan“ wird im Rahmen einer Matinee am Sonntag, 28. April, um 11 Uhr im Foyer des Stadttheaters vorgestellt. Intendantin und Regisseurin Cathérine Miville wird gemeinsam mit dem Musikalischen Leiter Jan Hoffmann über die Musik, den Inhalt und die Zusammenarbeit mit Komponist Richard van Schoor und Librettist Willem Bruls sprechen. Bühnenbildner Marc Jungreithmeier demonstriert die orientalischen Welten, die er im Bühnenraum entstehen lässt, Monika Gora präsentiert ihre Kostüme, die Tradition mit Gegenwart verbinden. Die Sänger Daniel Arnaldos, Denis Lakey und Rena Kleifeld erzählen von ihren Rollen und geben musikalische Kostproben. Der Eintritt ist frei.
Karsten Mackensen und Björn Gauges, 26.04.2019, Gießener Anzeiger