„Pumuckl – das Musical“ feiert Premiere im Gießener Stadttheater / Holprige Dramaturgie aber grandiose Musik und Kalauer
Mit „Pumuckl – das Musical“ bringt das Stadttheater Gießen in seiner neuesten Produktion ein Stück Musiktheater auf die Bühne, das den hohen Anspruch erhebt, Unterhaltung für verschiedene Geschmäcker und Altersstufen zu bieten. Dass dies nicht so ganz gelingt, dürfte nicht zuletzt am Stück selber liegen, dessen Dramaturgie musikalisch und inhaltlich nicht durchweg schlüssig ist. Die Inszenierung von Oliver Pauli stellt dem zu wenig Eigenständiges an die Seite.
Am Samstag war Premiere. Die Atmosphäre im Publikum war voller Vorfreude. Es war zwar nicht ganz ausverkauft, aber dafür waren viele Kinder da. Wer hätte nicht angesichts der auf den Vorhang applizierten Silhouette des vertrauten Kobolds innerlich „Hurra, hurra, der Pumuckl ist da“ angestimmt. Noch bevor es losging, wurde mit großem Hallo die etwas verwirrt durch den Saal irrende Frau Steinhauser begrüßt, die offenbar auf dem Weg zur Werkstatt des Meister Eders war. Im Laufe des Abends hatte man aber den Eindruck, dass die enthusiastische Freude des Publikums sich stellenweise ein bisschen legte. Hier und da gingen sogar einige Leute früher.
Das „Pumuckl“-Musical erfuhr seine Uraufführung erst in diesem April am Gärtnerplatztheater in München, wo es auch in Auftrag gegeben worden ist. Die Musik komponierte Franz Wittenbrink auf einen Text von Anne X. Weber nach den Vorlagen von Ellis Kraut. Grundlage der Handlung bilden die drei Episoden „Spuk in der Werkstatt“, in der sich Meister Eder und Pumuckl kennenlernen, „Das Schlossgespenst“ und „Der große Krach“. Daraus bildet das Musical eine Art losen Bogen mit den Stationen Kennen- und Liebenlernen, Streit, Trennung und Versöhnung. Denn natürlich gibt es ein Happy End!
Die Episoden geben Anlass für verschiedenste Musiknummern. Und diese Musik ist von einiger Raffinesse, die in ihrer Vielgestaltigkeit allen Beteiligten Erhebliches abverlangt. Wittenbrink ist ein Tausendsassa, der mit allen musikalischen Wassern gewaschen ist. Nicht nur spielt die Partitur mit allen möglichen Genres von Blasmusik über Soul, Jazz und Rock bis hin zum Rap, sie leistet sich auch höchst witzige Referenzen an die Operngeschichte. Die richten sich ganz offensichtlich eher an die Erwachsenen. Da gibt es barocke Rezitative (die sich aber schnell in jazzige Klänge auflösen), da braust in einer grandiosen Traum-Szene unüberhörbar ein fliegender Holländer im Sturm daher (das Bühnenbild von Monika Gora ahmt dazu barocke Illusionskunst nach), da singt Pumuckl so etwas wie Symphonic Rap mit Belcanto-Elementen. „Das ist Kunst“, erklärt er in dem Lied „Ich bin der edle Pu von Muckl“, und in der Tat hat er den sängerisch anspruchsvollsten Part. Tom Schimon bewältigt das bravourös: Fast immer im Falsett singend, schafft er mühelos die Wechsel zum (Pseudo-)Dramatischen oder zum Buffonesk-Charakteristischen – ganz abgesehen davon, dass er auch noch ständig mit Koboldstimme sprechen muss. Ebenfalls in Bestform zeigte sich Tomi Wendt als Meister Eder, dessen Partie ebenfalls eine enorme Flexibilität des Stimmcharakters fordert. Und sein angenehmer bayerischer Akzent ist natürlich der Rolle wie auf den Leib geschneidert.
Die Episodenstruktur dient als Vorwand für zahlreiche weitere musikalische Auftritte: Da gibt es Szenen im Biergarten, in denen musikalisch eine bayerische Atmosphäre mit nicht ganz ironiefreien Blasmusik-Anklängen erzeugt wird. Auch der Kinderchor tritt bei etwas willkürlichen Gelegenheiten auf, singt aber astrein und sogar mit vorlaut-frechen Chorsolisten (Einstudierung: Martin Gärtner), die ihre Lehrerin (Sonja Herrmann) beim Schulausflug nerven. Der als Tanz choreographierte Gespensterchor im Schloss (Choreographie: Anthony Taylor) wirkt allerdings ziemlich fußlahm. Vielleicht müsste da auch die Musik aus dem Graben noch etwas frischeren Drive entwickeln. Insgesamt sind aber Band und Orchester gut dabei und spielten unter der Leitung von Andreas Kowalewitz, der auch der Dirigent der Münchener Uraufführung war, fast immer auf den Punkt. Auch das restliche Ensemble kann da mithalten, Michaela Christl etwa gibt eine wunderbar verpeilt-lüsterne Frau Steinhauser, Markus Rührer als Schlosser Schmitt ist das ideale Opfer des Pumuckl, die junge Maja Gandenberger verkörpert die junge Hanna, Johanna Malecki deren verkrampfte Helikoptermutter und Michaela Wehrum ist Wirtin und Vroni.
Bei dieser ganzen Abwechslung gelingt es jedoch der Inszenierung nicht so recht, das viele Einzelne wirklich zu einem Guss zusammenzufügen. An Kalauern mangelt es dem Text nicht, aber nicht jeder Gag zündet. Immerhin: Es gab schon einige (Erwachsenen-)Lacher, wenn etwa die harmlosen Holzspäne in Meister Eders Werkstatt zur philosophischen Reflexion einladen: „Spahn oder nicht Spahn, das wird bald die Frage.“ Außerdem setzt die Regie auf Dialekt und regionale Stereotypen. Das ist harmlos und immer gut für einen folgenlosen Lacher. Warum aber ein Darsteller koreanischer Herkunft als Asiate bloßgestellt wird, der alberne Kung-Fu-Bewegungen ausführt (Chul-Ho Jang als Butler)? Hier kippt das Klischee ins Rassistische.
Wirklich gelungen ist die Idee, das Theater als Theater vorzuzeigen. Ist Pumuckl sichtbar, verschmilzt der Darsteller mit einer von ihm geführten großen Handpuppe, die sofort verschwindet, sobald Besucher kommen. Der Illusionseffekt ist wunderbar, wenn der „unsichtbare“, aber höchst präsente Pumuckl auf offener Bühne Gegenstände wandern oder durch die Luft schweben lässt – das helle Kinderlachen zeigte klar, dass der Effekt funktioniert hat. Auch die Bühnenelemente sind allesamt nur auf Pappen gezogene Fotos.
Am Ende trotzdem gehörig großen Beifall: Es war eben doch ein großer Spaß.
Karsten Mackensen, 05.11.2018, Gießener Anzeiger