Uraufführung von „Rio Bar“ nach dem Roman von Ivana Sajko auf der taT-studiobühne
Das war kein leichter Cocktail, das war richtig harter Stoff. Whisky, Branntwein, wahrscheinlich war es Wodka, den die drei Protagonisten in der Rio Bar in sich hineinschütteten. Natürlich nicht in Wirklichkeit, alles nur gefaked, ebenso gefaked wie die Rauchschwaden, die Schüsse, das Blut, die Vergewaltigungen. Auch wenn nichts echt war: der intensive Auftritt der drei Schauspieler Carolin Weber, David Moorbach und Magnus Pflüger auf der taT-Studiobühne war nur schwer zu ertragen. Autorin Ivana Sajko, 1975 geboren in Zagreb, hat den Jugoslawien-Krieg zurückgebracht. Und sie richtete in ihrem Stück den Blick weiter auf ganz Europa: „Wie können wir sicher sein, dass unsere Gesellschaft nicht auseinanderbrechen wird?“
Ivana Sajko hatte für die Uraufführung Szenen nach ihrem Roman „Rio Bar“ selbst inszeniert. Mit ihren Bühnentexten und Prosawerken hat sie sich als wichtige Vertreterin der kroatischen Literatur- und Theaterszene erwiesen. „In ihren Texten lässt sie weiblich Stimmen in körperlich spürbarer Unmittelbarkeit zu Wort kommen und macht die Schmerzen der Liebe und des Krieges schockierend lebendig“: So heißt es treffend in der Einführung.
Für viel Atmosphäre in der Gießener Aufführung sorgten auch die coole Bar, ganz in schwarz-weiß gehalten, und die großen Videoprojektionen der Schauspieler, entworfen von Sandra Li Maennel Saavedra, sowie das Sounddesign von Dino Brazzoduro und Pavlica Bajsic. Die Tänzerin Mamiko Sakurai war diesmal als choreographische Beraterin im Einsatz.
Die erste Szene zeigt einen vernebelten Blick auf die Bar im Hintergrund, drei vollkommen betrunkene Gestalten hängen über den Tresen, drei namenlose Menschen, im Programmheft nur als „Ensemble“ tituliert. Allmählich kommen sie zu sich, schamlos die prekäre Lage der anderen ausnutzend. Einer der Männer leuchtet mit einer Taschenlampe über den Körper der Frau, beschreibt ihren schlechten Zustand.
Nächste Szene: „Du erschießt mich nicht“, sagt die Frau zu den Männern, die sie mit Mikrofonständern bedrängen. Und sie schildert minutiös, wie sie einen Mann mit einem Schweizer Messer erstochen hat, „während sich die Plomben in ihren Zähnen vor Übelkeit zersetzten“. Dabei hatte alles so hoffnungsfroh bei ihrer Hochzeit begonnen – bis eine Bombe mitten in der Festgesellschaft detonierte. Wer war schuld? Die Fremden, die Ausländer, die nicht einmal Halt machten vor den Marienstatuen in der Kirche.
In diesem Stück ist alles miteinander verwoben. Liebe und Hass, Krieg und Sexualität. Jeder spielt jeden. Die Männer sind Frauen und schmücken sich mit Halsketten und bemalen sich die Lippen, die Opfer werden zu Tätern und die Täter werden zu Opfern. Zu wem soll man in diesem Chaos überhaupt halten, wenn es sogar die „Heldin“ nicht schafft, bei einem Überfall zu den Schwächeren zu halten und die Polizei zu rufen?
Nicht nur in dieser Szene mit dem Handy in der Hand steht Carolin Weber im Mittelpunkt des Geschehens. Sie ist in jeder Minute auf der Bühne präsent in ihrer Rolle der gedemütigten und zugleich starken Frau. Hut ab auch vor der schauspielerischen Leistung von David Moorbach und Magnus Pflüger. Sie sind erst seit der vergangenen Spielzeit beim Stadttheater und haben beide schon wichtige Rollen übernommen. Diesmal rangen sich beide mit Erfolg dazu durch, als eklige Kriegstreiber hervorzutreten. Auch wenn David Moorbach zum Schluss noch einmal mit einem traurigen Lied auf der Gitarre zu hören ist, der Eindruck der Kriegsszenen ist nicht von der Hand zu wischen.
Langer Applaus
Alle Menschen sind gleich? Weit gefehlt, die Männer machen der Frau schnell klar, dass sie als Fremde niemals dazugehören wird. Und Demokratie? Ein böses Lachen ist die Antwort: Gibt nur den Ausländern die Möglichkeit, alles aufzukaufen. So wie es auch mit der Rio Bar geschah. Erst fällt ein Schuss und tötet den Wirt, dann übernimmt ein Fremder, wahrscheinlich von der Mafia, die Bar. Nein, Hoffnung gibt es in dem Stück nicht wirklich.
Lang anhaltender bewegter Applaus belohnte nach 75 Minuten Spielzeit die Akteure für ihren engagierten Einsatz.
Ursula Hahn-Grimm, 12.01.2019, Gießener Anzeiger