Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Gießen widmete sich der deutsch-österreichischen Romantik
Das Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters Gießen am Dienstagabend im Stadttheater war ganz der deutsch-österreichischen Romantik gewidmet. Unter der Leitung von Lutz Rademacher spannten die Musiker einen Bogen von Ritterromantik bei Carl Maria von Weber über Gustav Mahlers Volksliedton bis hin zum kunstreligiös Monumentalen der Sinfonik Anton Bruckners.
Den Beginn machte Webers Ouvertüre zur Oper „Euryanthe“. Als Konzertstück beliebt, ist die dazugehörige Oper um den mittelalterlichen Grafen Gerard von Nevers und seine Geliebte Euryanthe von Savoyen nur selten zu sehen. Dabei macht die Ouvertüre wirklich Lust auf mehr, sie führt in der gleichen Weise, wie man es vom „Freischütz“ kennt, Themen und Motive der Oper vor. Unverkennbar sind der Hörnerklang, aber auch die Lyrik des zweiten Themas oder das Rasante des Fugatos genuin Weberisch. Das Orchester gestaltete das wie aus einem Guss, erst durchsichtig und fein, später furios und prachtvoll.
Kammermusikalische Zartheit und äußerste Sensibilität verlangen dann die „Lieder eines fahrenden Gesellen“ von Gustav Mahler. Interpret war der Bariton Grga Peroš, Mitglied des Gießener Ensembles seit 2016 – aktuell singt er den Annetiello in „Mala vita“. Das ist eine Romantik, die einiges mit der feinfühligen Psychologie der Lieder Schuberts zu tun hat; nicht zufällig suchte Mahler Inspiration für seine Texte in der literarischen Romantik Brentanos und Arnims. Nun muss man diese Lieder vielleicht nicht überdidaktisch singen (wie es Fischer-Dieskau tat), indes könnte man sich doch Artikulation und Stimmgebung noch etwas abwechslungsreicher vorstellen, als Peroš es gestaltet. Zu unflexibel bleibt vor allem sein Vibrato, auch da, wo – etwa im ersten Lied – die Kontraste zwischen Naturschönheit und tiefster, innerer Traurigkeit so klar die musikalische Struktur bestimmen.
Burschikos ging’s im zweiten Lied her, das resignative „Nun fängt auch mein Glück wohl an?“ skandierte Peroš beinahe, als wollte er es herbeizwingen. „Ich hab’ ein glühend Messer“ gelang ihm dann vollkommen, dramatisch und verzweifelt, hier war er zu Hause.
Enorme Herausforderungen
Bruckners siebte Sinfonie bildete den zweiten Teil des Programms. Sie enthält für Hörer und Musiker enorme Herausforderungen. Die Interpretation muss über die monumentalen Dimensionen der vier Sätze hinweg die zahlreichen, teils kontrapunktischen oder kammermusikalischen, teils flächig-sinfonischen Details zu einer Einheit schlüssig zusammenführen. Rademacher, Generalmusikdirektor in Detmold, versuchte es über eine extrem disziplinierte, nachgerade metronomische Tempogebung. Dabei nivellierte er die Tempi nicht nur der verschiedenen Sätze, auch die Binnenabschnitte variierte er nur so weit wie nötig. Gnadenlos lief Rademachers Schlag etwa im dritten Satz durch, nicht das geringste Nachgeben gestattete er dem Puls auch im Trio. Umso stärker war man dafür vielleicht sensibilisiert für die Stellen, wo er Abfederung erlaubte, wie etwa am Ende des Trios. Dieses Verfahren hat Vorteile; die Musik erfährt eine Entschlackung – sie hat aber auch Nachteile; manche Passage wirkt steif. Das gilt für die rezitativischen Gesten des letzten Satzes, das gilt für den „Walzer“ des berühmten langsamen Satzes.
Dessen Steigerung allerdings geriet großartig; trotz des fast emotionslosen Dirigats lagerten sich die Schichten überwältigend übereinander. Und: Den (ohnehin nicht authentischen) Beckenschlag sparte Rademacher aus und ersparte so dem Höhepunkt unnötige Theatralität. Genug dynamische Wucht hatte die Sinfonie trotz solcher Sachlichkeit allemal, gerade dann auch im Finale, das selbst in der spröden Akustik des Theaters eine gewaltige Klangwucht entfaltete.
Karsten Mackensen, 22.11.2018, Gießener Allgemeine Zeitung