Neunzig Minuten beste Unterhaltung: „Schmachtigallen“ mit neuem Stück im Großen Haus des Gießener Stadttheaters
Ein klarer Fall: Ihren geradezu legendären Ruf als Sängerquartett haben sich die „Schmachtigallen“ nicht ohne Grund verdient. Dafür erbrachten die vier Herren jetzt in der Premiere ihres neuen Stückes „Mord a cappella – Unter Verdacht“ auf der Großen Bühne des Stadttheaters Gießen eindeutig den Beweis. Virtuose Stimmen, eine lebendige Bühnenshow und wunderbare Arrangements, kurz gesagt: neunzig Minuten beste Unterhaltung. Entsprechend begeistert fiel auch der Applaus in dem bis in die Ränge hinauf gefüllten Theater aus.
Diesmal geht es um Mord, und die Schmachtigallen stecken mitten im Geschehen. Entsprechend spektakulär ist auch der Auftakt mit den charakteristischen Takten der Schicksals-Sinfonie und einem heftigen Gewitter: Die Haushälterin öffnet die Tür der Villa im schottischen Hochmoor, Regenwasser strömt herein, draußen steht Martin Ludwig von den Schmachtigallen, seine drei Kompagnons sind bereits in den Gästezimmern auf der Empore untergebracht. Das beliebte Sängerquartett ist von einer exzentrischen Millionärin eingeladen worden, die eine künftige Europatournee finanzieren will. Doch alles kommt anders als erwartet, ein Mordfall fordert die detektivischen Fähigkeiten der Schmachtigallen heraus, plötzlich stehen alle vier Herrn unter Verdacht. Oder waren es vielleicht doch eher die anderen Bewohner des Hauses? Was ist mit dem blinden Pianisten (Andreas Sommer) oder mit der unfreundlichen Haushälterin (Marie Louise Gutteck), die sich ansonsten zwischen den vier Sängern bestens behauptet? Da tauchen viele Fragen auf, die es zu beantworten gilt.
Da diese Komödie ganz im klassischen Stil der Durbridge- und Edgar Wallace-Krimis der 50er und 60er Jahre daherkommt, hat sich Regisseur Wolfgang Hofmann einen besonderen Clou ausgedacht: Alles ist in schwarz-weiß gehalten, sogar die Gesichter der Akteure sind weiß geschminkt und das Blut sickert grau über die vermeintliche Leiche. Wolfgang Hofmann hat sich in Gießen bereits einen Namen gemacht, unter anderem mit „Häuptling Abendwind“ oder in der laufenden Spielzeit mit „Mala Vita“. Bühne und Kostüme stammen von Lukas Noll und Thomas Döll, auch diese dem Gießener Theaterpublikum bestens bekannt.
Diese Mord(s)geschichte in Schwarz-Weiß wird durch die Lieder erst richtig zum Leben erweckt, denn die Songs sind alles andere als schwarz-weiß, sondern sie schillern bunt in allen Farben. Und durch den Vortrag von Jan Hoffmann, Martin Ludwig, Roland Furch und Severin Geissler werden sie erst richtig zum Leuchten gebracht. Ob es sich um das alte „Jerusalem“, handelt, bekannt geworden durch The Night of the Proms“ in London, um Lieder der „Comedian Harmonists“ oder „Wise Guys“ oder auch um eigene Kompositionen, die Schmachtigallen haben‘s wirklich drauf, um es einmal salopp zu formulieren. Genial schon die Arrangements von Severin Geissler, die von den vier Sängern wunderbar und hoch musikalisch umgesetzt werden.
Zum Beispiel „Ain’t she sweet“, ein Song, der vor allem durch die Beatles bekannt wurde, aber zuvor bereits in den 20er Jahren als Jazz-Standard zu hören war.
Die vier Sänger hatten auch beste musikalische Unterstützung: Der rätselhafte Klavierspieler (Andreas Sommer) erwies sich als Meister der Tasten, seine beiden Kollegen mussten während des Stücks nahezu unsichtbar hinter der gemusterten Tapete bleiben: An Bass und Gitarre spielte Stefan Schneider souverän seine Akkorde, am Schlagzeug gab Simon Zimbardo jederzeit den richtigen Takt an. Nur bei der Zugabe waren Sänger und Instrumentalisten in trauter Runde auf der Bühne vereint.
Es folgten noch eine zweite und eine dritte Zugabe. Unüberhörbar: Die Schmachtigallen singen einfach gern. Aber das ist wohl die Grundvoraussetzung für dieses Geschäft.
Ursula Hahn-Grimm, 15.10.2018, Gießener Anzeiger