Manfred Becker war sichtlich gerührt, dass so viele Menschen ins taT gekommen waren, um sich in faszinierende »Klangräume« (so der Titel der CD von 2015) entführen zu lassen. Darüber hinaus brachte der Gießener Akkordeonist mit seinem Ensemble das neue Werk »Berlin Firmament« zur Uraufführung. Es wurde – wie bei Beckers Auftritten üblich – ein ebenso anspruchsvoller und berührender wie unterhaltsamer Abend.
Wollie Kaiser, Gießener Stammgast aus Saarbrücken, eröffnet das für ihn geschriebene »Fluting, Floating, Flying« mit einem dunklen Motiv auf der Bassflöte, das zu einem Krimianfang (nachts!) passen würde. Beckers Akkordeon auf der gegenüberliegenden Bühnenseite und Julien Blondels Cello kommen hinzu, zuletzt Joe Bonica mit sanftem Schlägeleinsatz. »Die polyphone Spielweise des Akkordeons auf die Gruppe zu übertragen«, sei die Absicht, erklärt Becker sein musikalisches Konzept. Mit Jazz hat das alles – auch wenn Becker gern als Jazzmusiker angekündigt wird – nur insofern zu tun, als die Kompositionen den Musikern viele rhythmische wie tonale Freiräume gewähren. Becker beschreibt das Klangbild im CD-Heft als »ausgeprägt kammermusikalisch«.
Es braucht ein wenig, bis man sich in diese nicht leicht zu greifende Musik eingehört hat, aber dann ist es um so faszinierender, wie sich aus scheinbar Amorphem überraschende Motive und Rhythmen herausschälen oder eine Cellopassage mit melancholischer Schönheit anrührt.
Becker benennt seine Stücke üblicherweise nicht nach Außermusikalischem. »Quarterback« etwa hat nichts mit Sport zu tun, sondern verweist auf die Quarte als Kompositionskern. Umso überraschender ist es, dass das nach der Pause uraufgeführte siebenteilige Werk sich tatsächlich auf »Berlin Firmament« bezieht und von einer »sternklaren Nacht am Inheidener See« inspiriert wurde. Wir seien auf der Erde »Teil eines Ganzen« und müssten uns um »diesen kleinen Teil kümmern«, formuliert Becker seine Motivation. Die miteinander verbundenen Sätze sind »Blick zum Himmel«, »Sternenbilder« oder »Milchstraße« benannt und eröffnen natürlich großes Kopfkino bei den Zuhörern. Mehr als im ersten Teil sind auch Merkmale von Minimalmusik (im Cello-Ostinato, das Becker dann fortführt) auszumachen, Bonica spielt virtuos mit Glöckchen, Kaisers Bassklarinette jazzt. Füßestampfender Applaus belohnt die gelungene 22-minütige Uraufführung, nach der Becker dem Publikum als »Absacker« ein mitreißendes »Afro Kürzel« gönnt. Das unbeschwert abgehende »Pusteblume« mit Rockdrums und Walking Cello Bass beendet den genussvollen Abend.
Axel Cordes, 24.02.2019, Gießener Allgemeine Zeitung