Dass sich beim Klimaschutz dringend etwas tun muss, bestreitet wohl nur US-Präsident Donald Trump. Und so herrscht bei der Diskussionsrunde im Stadttheater unter dem Motto »Fridays for Future - Wie geht’s weiter?« auch überwiegend Einigkeit.
Die Jugend verschafft sich weltweit Gehör und fordert mehr Klimaschutz. Auch in Gießen sind Schülerdemos zu großen Kundgebungen geworden. Doch was passiert nach diesem Sommer? Wie geht es weiter mit den Forderungen der Schüler? Und was können wir in Gießen konkret tun für den globalen Klimaschutz? Darüber wurde im Stadttheater im Rahmen der bundesweiten Reihe »Die offene Gesellschaft« diskutiert. Behzad Borhani vom Stadttheater und Prof. Claus Leggewie moderierten die Veranstaltung im Foyer. Groß war der Andrang der Besucher beim »Nachsitzen« in Sachen Klimaschutz, wie es Intendantin Cathérine Miville in Anspielung an die Schulschwänzdiskussion nannte. Als Experten eingeladen waren Lutz Hiestermann vom Verein Lebenswertes Gießen, Klimabeauftragter Björn Kühnl als Vertreter des Landkreises Gießen, Gießens Umweltsamtleiter Dr. Gerd Hasselbach, Regisseur Patrick Schimanski, Dr. Lea Schneider von »Scientists for Future« und Kilian Tätsch als Sprecher der Gießener »Fridays for Future«-Aktivisten. Die Zuschauer waren nicht nur zu direkten Wortmeldungen aufgefordert, sondern auch zum Twittern unter #fffgi.
Die Schüler seien auf die Straße gegangen, weil sie »frustriert, zornig und verängstigt« seien, betonte der 17-jährige Lio-Schüler Kilian Tätsch. Das Wichtigste, was sie mit »Fridays for Future« bislang erreicht hätten, sei es, Aufmerksamkeit für die Herausforderungen des Klimaschutzes zu erlangen. »Doch nun müssen Taten folgen.« Ob das mit einem »dezentralen Klimalaboratorium« in Gießen passieren kann, wie Prof. Leggewie anregte, oder mit den von »Scientists for Future« im Herbst geplanten Veranstaltungsreihen in Schulen, ist unklar. Es gelte aber, sich der »pädagogischen Herausforderung« zu stellen, forderte Leggewie.
Einig waren sich alle Teilnehmer der Veranstaltung in ihrem Lob für die Schüler, die ein Thema in den Fokus gerückt hätten, das eigentlich schon seit mehr als 50 Jahren bekannt sei. Ob es genügt, erst einmal mit kleinen Schritten anzufangen, um dann größere folgen zu lassen, wurde in den zahlreichen Wortmeldungen aus dem Publikum aber unterschiedlich gesehen. Immer wieder wurde daran appelliert, dass schon jeder Einzelne mit seinem Verhalten einen Beitrag leisten könne. Klimaschutzmanager Kühnel und Umweltamtleiter Dr. Hasselbach benannten Schritte, die die Kommunen bereits unternommen haben, wie den Gießener Gebäudepass, das Jobticket, eine Studie zum E-Mobil-Konzept oder energetische Sanierungen an Schulen. »Klimaschutz in der Kommune funktioniert aber nur, wenn auch das Personal dafür da ist«, gab Kühnl zu bedenken.
Lutz Hiestermann warb für die Aktion »2035Null«, denn er »halte Klimaneutralität 2035 in Gießen für möglich« und kündigte einen entsprechenden Bürgerantrag im Herbst an das Stadtparlament an. Regisseur Patrick Schimanski unterstrich, dass »das Ganze auch einen Kulturwandel« erfordere und machte auf ein Projekt mit dem Jugendclub des Stadttheaters für 2020 aufmerksam, in dem die Jugendlichen ihre Ängste und Forderungen künstlerisch ausdrücken können. Wissenschaftlerin Dr. Lea Schneider warnte davor, dass »apokalyptischer Alarmismus nicht das beste Mittel der Kommunikation« sei. Leggewie forderte dazu auf, eine »wirkliche Allianz« aller zu bilden, die sich für mehr Klimaschutz einsetzen.
»Wo sind die Erwachsenen, die jetzt aufstehen?«, fragte ein Zuschauer im Laufe der zweistündigen regen Debatte. Der große Andrang beim »Nachsitzen« lässt zumindest hoffen, dass die Schüler tatsächlich ein Umdenken in Gang gesetzt und eine große Bürgerbewegung angestoßen haben.
Christine Steines, 14.06.2019, Gießener Allgemeine Zeitung