Die Reihe „Die offene Gesellschaft“ beschäftigt sich mit der „Fridays for Future“-Bewegung / Schüler sind frustriert, zornig und verängstigt
„Wir müssen eine übergreifende Allianz in Gießen bilden und Menschen unterstützen, die bereit sind, ihr Verhalten zu ändern.“ Dieses Fazit zog Prof. Claus Leggewie (JLU Gießen) am Ende der Diskussion „Fridays For Future – Wie geht’s weiter?“ im Foyer des Gießener Stadttheaters. Im Rahmen der bundesweiten Reihe „Die offene Gesellschaft“ tauschten sich „Impulsgeber“ mit interessierten Bürgern aus. Der „Einladung zum Nachsitzen“ waren viele gefolgt – die wenigsten von ihnen „Schulschwänzer“, wie die demonstrierenden Jugendlichen oft genannt werden. „Vor 50 Jahren waren wir auf der Weltklimakonferenz schon genauso weit wie heute“, bemängelte Leggewie und rief dazu auf, das eigene Verhalten zu reflektieren.
„Als von Anfang an bei den Freitagsdemonstrationen dabei“, stellte Diskussionsleiter Behzad Borhani (Stadttheater Gießen) den Abiturienten Kilian Tätsch vor. „Wir sind frustriert, zornig und verängstigt“, betonte der Lio-Schüler. „Unser Ökosystem steht vor dem Zusammenbruch und unsere Zukunft wird zerstört“, begründete er sein Engagement. Vier Demonstrationen hätten bereits in Gießen stattgefunden und immer mehr Anhänger gefunden. Zunächst eine reine Schülerdemo, würden sich mittlerweile auch Studenten, Eltern und Initiativen daran beteiligen.
Klare Forderungen
„Wir sind nicht die Grünen. Wir sind unabhängig“, stellte Tätsch klar. Und: „Die Oberbürgermeisterin findet toll, was wir machen.“ Unterstützung erhielten die jungen Leute unter anderem vom Stadttheater Gießen in Form von Strom und vom DGB, der Lautsprecher zur Verfügung stellte.
„Interessiert euch auch dann für Bildung, wenn es nicht um Schule schwänzen geht“, rief Kilian Tätsch auf. Viereinhalb Tage die Schule nicht zu besuchen, zerstöre keine akademische Laufbahn. Vielmehr sei es an der Zeit, mehr in Bildung – darunter falle auch die teilweise mangelhafte Ausstattung der Schulen – zu investieren. Der Tenor des Plenums war eindeutig: „Es wird zu wenig geschätzt, was die jungen Leute da machen. Jetzt müssen die Erwachsenen mal in die Puschen kommen.“ – „Was die Schüler machen, ist das Beste, was sie für ihre Zukunft machen können.“ – „Man sollte bei sich selbst anfangen, in dem man beispielsweise den Stromverbrauch reduziert, das Essen nicht mehr in Plastikverpackungen kauft sowie auf das Fliegen und Kreuzfahrten verzichtet.“ – „Unser Verhalten, vom Konsum eines Döners in Alufolie bis hin zum Wasser in Plastikflaschen, wird als normal angesehen. Aber grade diese Dinge, die wir als normal ansehen, zerstören die Umwelt.“ – „Wir dürfen nicht an den Grenzen Deutschlands aufhören“, lautete eine weitere Forderung. „Das EU-Parlament ist weiter als der Deutsche Bundestag“, entgegnete Claus Leggewie. „Wir brauchen unbedingt ein politisches Programm.“ Auch Autor und Regisseur Charly Weller, der als „Rentner gegen Plastik“ aktiv ist, meldete sich zu Wort. „Das Leben auf dem Mars wird erforscht. Wie sich Plastik in Lebensmitteln auswirkt, scheint hingegen niemanden zu interessieren“, bemängelte er.
Mit einer Veranstaltungsreihe zum Thema Klimaschutz wollen die „Scientists for Future“ Schulen für das wichtige Thema sensibilisieren, wie Dr. Lea Schneider betonte, die sich intensiv mit dem Thema Klimarekonstruktion auseinandersetzt. „Nachhaltigkeit sollte aber sozial gerecht sein“, gab die Wissenschaftlerin zu bedenken.
Seit einem halben Jahr hat Gießen einen Klimaschutzmanager: Björn Kühnl betonte, dass der Landkreis bereits seit 2011 ein Klimaschutzkonzept habe und bereits fünf Millionen Euro in fossile Energien geflossen seien. Vor fünf Jahren habe man begonnen, einen „Masterplan“ zu entwickeln. Stand heute seien 25 Prozent der Energien alternativ. „Klimaschutz funktioniert nur, wenn das entsprechende Personal vorhanden ist“, akzentuierte Kühnl. Aus diesem Grund sei man dabei, in fünf weiteren Kommunen einen Klimaschutzmanager zu etablieren. Nach konkreten Plänen gefragt, nannte er das Elektromobilitätskonzept für den Landkreis sowie die Abschaffung von Coffee-to-go-Bechern in Gießen. „Bis 2035 soll Gießen sich verpflichten, klimaneutral zu werden“, forderte Lutz Hiestermann (Lebenswertes Gießen). „Wir sind keine Sprinter, sondern Langstreckenläufer.“
Petra Zielinski, 14.06.2019, Gießener Anzeiger