Live-Hörspiel „Die Fünf Sinne“ auf tAT-Studiobühne zu sehen
Die fünf Sinne werden ja heute von den Medien oft reichlich strapaziert – manchmal fühlt es sich an wie mit dem Viehstock gezappt. Davon ist Patrick Schimanskis Live-Hörspiel gleichen Namens allerdings weit entfernt, obwohl auch da alle Register gezogen werden. Die Mischung aus Musik, Sprache, Geräuschen und optischen Effekten hatte am Donnerstag auf der tAT-Studiobühne in Gießen Premiere und fesselte das Publikum im ausverkauften Haus von Anfang bis Ende.
Zunächst verstanden nicht alle, dass die Kopfhörer, die man am Einlass erhielt, gleich Töne ausspuckten, man wollte sich lieber noch ein wenig unterhalten – was man durch die Hörer leider deutlich hörte, während man sich gerade auf idyllische Naturgeräusche einließ: Bachplätschern, Vogelzwitschern, Wind und mehr Klänge kamen da. Bis ein Paukenschlag den ersten Akt markierte.
Ein besonderes Sinneserlebnis war angekündigt, und Regisseur Patrick Schimanskis „Recherche im Archiv der Gemenge und Gemische“ nach dem gleichnamigen Werk von Michel Serres hielt Wort. Abgesehen von einem gewissen Isolationseffekt der Hörer war das eine geschickte Kombination optischer und anderer Reize, denn natürlich gab es auch ein bisschen was zu sehen. Schimanski ist Mitglied des Ensembles „48nord“, das mit einer markanten Komposition der aktuellen Tanzproduktion „Metropolis Futur 3“ besondere Durchschlagskraft verleiht.
Dramatischer Beginn
Irgendwie lag es nahe, die Augen zu schließen, denn das Hörangebot war ungewohnt üppiger als das optische. Vor allem war das ein anderer Eindruck, denn das Ganze war eine Art Bewusstseinsstrom, der mit attraktiven Ingredienzien vollgestopft war: Erst einmal der witzige und geistreiche Text, allerlei musikalische Beiträge (Schimanski und Pavone spielten Geige und Ukelele, dazu kamen noch Klavier und Perkussion), und nicht nur der dramatische Beginn – das Schiff brannte! – wurde mit zahlreichen Soundeffekten angereichert. So ließ man sich gern treiben, schaute kurz mal hin, nahm die Hörer ab und setzte sie beruhigt wieder auf: Man bekam einfach mehr mit.
Bemerkenswert war die Präzision der Produktion, das knackige Timing ließ keine unklaren Eindrücke aufkommen, und ein paar Impro-Phasen sorgten für humorvolle Entspannung. Das tat gut, denn die sorgfältige Mischung verschiedenster Eindrücke war durchaus etwas konzentrationsbedürftig. Alle Details besonders der philosophischen Aspekte blieben nicht haften, unverkennbar war bei aller Spannung der angenehm beruhigende Effekt. Vor allem fehlte der ansonsten bei Hörspielen häufige Eindruck sperriger und nervtötender bildungspädagogischer Beflissenheit. Nichts davon war im tAT zu spüren, vielmehr herrschte eine schöne kontrastreiche Abwechslung der Ebenen sowie ein angenehm konsistentes Fluidum, und dazu gab es von Tomi Wendt und Karola Pavone noch sehr hörenswerte Lieder. Auch Perkussion und Klavier waren handwerklich tadellos, sodass allenfalls das Problem entstand, was gerade am meisten Spaß machte.
Vor allem wirkte der häufige Wechsel zwischen Musik, knackigen Soundeffekten, Licht und vor allem prägnanten Textbeiträgen geradezu fesselnd. Dabei fühlte sich das Element des Noch-nie-Dagewesenen gut an: Wer hat schon mal bei einem Hörspiel im Studio dabeigesessen, vor allem bei einem Fertigen? Allerdings war die Sache durchaus als Bühnenproduktion gedacht. Nur fragte man sich am Ende, wofür der leer gebliebene Sessel links auf der Bühne gedacht war. Auf dessen Lehne lag immerhin ein Buch.
Insgesamt eine hoch attraktive Produktion, die der gut angenommenen Reihe von Hörspielen eine erlebenswerte Variante hinzufügt. Das Publikum war hörbar schwer beeindruckt.
Heiner Schultz, 16.02.2019, Gießener Anzeiger