Moderator Lars Ruppel über das ganz spezielle Duell „Poetry Slam vs. Stadttheater“ heute Abend im Großen Haus
„Poetry Slam vs. Stadttheater“ heißt es am heutigen Freitag um 19.30 Uhr auf der Bühne des Großen Hauses. Moderator Lars Ruppel hat dazu drei Wortakrobaten aus Berlin, Hamburg und Simbabwe eingeladen, die vor dem Publikum gegen ein Quartett des Stadttheaters antreten werden, einen Schauspieler, eine Opernsängerin und zwei Tänzer. Im Gespräch mit unserer Zeitung erklärt der Gambacher, was es mit diesem künstlerischen Schlagabtausch auf sich hat.
Du bist regelmäßig mit Poetry Slams im Stadttheater zu Gast. Was unterscheidet die altehrwürdige Bühne von anderen Veranstaltungsorten?
Die Nähe zwischen Publikum und Künstler ist unfassbar unmittelbar, es ist grade mal eine Stufe Höhenunterschied zur ersten Reihe und selbst den Menschen im Rang fühlt man sich nah. Das wichtigste aber sind die Leute dort. Die sind alle sehr warmherzig und unkompliziert, obwohl die Arbeit mit mir sicher nicht sehr einfach ist. Ich bin sehr fahrig, was sich normalerweise gar nicht mit Theaterarbeitsweisen verträgt. Aber sie haben viel Geduld mit mir.
Du lässt diesmal Poetry Slammer aus Hamburg, Berlin und Simbabwe gegen ein Team des Stadttheaters antreten. Worauf wird es bei diesem „ungleichen Kampf“ ankommen?
Wenn das Publikum merkt, dass man den eigenen Auftritt genießt und es einem Spaß macht, dann hat man, so sagt man im Fußball, den Moment auf seiner Seite.
Da die Slammer vermutlich gewisse Vorteile haben, wenn es um die Kunst der Formulierung geht: Mit welchen Künsten werden die Tänzer, Sänger und Schauspieler des Stadttheaters an diesem Abend glänzen können?
Die Stadttheater-Crew besteht aus echten Profis, die Slammer sind erfahrene Laien. Die Profis haben ganz andere Techniken für die Bühne, in Präsenz und Technik sind sie unschlagbar.
"Gab es nicht mal ein Brecht-Zitat darüber, dass man sich schuldig macht, wenn man in brisanten Zeiten gefällige Gedichte über Bäume schreibt oder ist das Halbwissen?", fragst du in der Ankündigung des Programms. Wie gefällig darf ein Poetry Slam denn in brisanten Zeiten sein? Und wie angriffslustig wird der Abend im Stadttheater?
Slam ist allzu oft sehr gefällig, im Sinne von belanglos und oberflächlich. Uns fliegt grade die Welt um die Ohren, das Meer steigt und wird uns mit Plastik überfluten, meine Kinder kennen Insekten nur noch aus Büchern, dafür wissen sie genau, wie Nazis aussehen. Das alles ist so traurig, dass man sich eigentlich nur noch mit leicht verdaulichem Entertainment ablenken mag. Aber viele Künstler und Künstlerinnen versuchen es weiter, und vielleicht wird durch einen Text ein Steak weniger gegessen, ein Auto weniger gefahren, ein Coffee-to-go-Becher weniger benutzt, einer Lüge weniger geglaubt, einem anderen mehr Beachtung geschenkt, das wäre doch mal was.
Und worauf kommt es bei einem gelungenen Poetry Slam am Ende wirklich an?
Dass das Publikum nicht satt ist, sondern hungrig bleibt auf mehr. Und, dass danach alle Bühnenmenschen zusammensitzen und Bierchen trinken.
Björn Gauges, 31.05.2019, Gießener Anzeiger