Operetten-Solo in Gießen, Mundart in Wetzlar, Theaterneustart in Frankfurt: Bühnenphänomen Michael Quast im Gespräch
Das Leben ist eine Baustelle. Auch für den Schauspieler und Theatermacher Michael Quast, dessen von ihm 2008 gegründete Fliegende Volksbühne im September endlich ein eigenes Domizil im Herzen der Frankfurter Innenstadt beziehen kann. Noch ist die Spielstätte hinter hohen Bauzäunen und Kunststoffplanen verborgen, das Gelände längst nicht bezugsfertig. Für das rastlose Bühnentier Quast aber natürlich kein Grund, die Füße hochzulegen. Am Samstag, 15. Juni, ist er mit „Pariser Leben“ und einem ganz speziellen Jacques-Offenbach-Abend im Gießener Stadttheater zu erleben. Bei den Wetzlarer Festspielen gastiert er dann wenige Tage später gleich zweimal: mit seinem Barock-am-Main-Ensemble sowie mit einer Lesung deutscher Balladen. Anlass für ein Gespräch über die nächsten Auftritte, die Bedeutung von Mundart und eine Erinnerung an einen ganz besonderen Auftritt in Gießen.
Herr Quast, haben Sie eigentlich schon einmal in Gießen gespielt?
Natürlich, immer wieder. Ich erinnere mich vor allem an ein Neujahrskonzert 2010. Ein Überraschungsprogramm zum Dadaismus. Mir war nicht klar, dass wir die Erwartungshaltung des Publikums damals total unterlaufen haben. Erst gab es die „Fledermaus“-Ouvertüre, und als die richtig Schwung hatte, wurde sie auch schon wieder abgebrochen. Zack! Ich habe dann dadaistische Lautgedichte vorgetragen. Und wir hatten von John Cage „4’33“ im Programm, bei dem ein Pianist 4.33 Minuten lang nicht spielt. „Aufhören!“, kam es da aus dem Publikum. Ich habe versucht, die Situation mit Witz zu retten und gesagt: „Für Cage ist jedes Geräusch Bestandteil des Stücks – und Sie haben wunderbar mitgemacht.“ Da wurde die Stimmung noch aggressiver. Aber es entwickelte sich im Saal auch eine Gegenbewegung. In der Pause ist die Hälfte des Publikums gegangen, die anderen waren im zweiten Teil begeistert. Es war eine krasse Erfahrung. Später habe ich immer wieder Gastspiele und Konzerte in Gießen moderiert, bei denen ich mich auf diesen Abend bezogen habe. Erstaunlich, wie so etwas beim Publikum hängen bleibt.
Nun bringen Sie eine Operette von Jacques Offenbach im Stadttheater auf die Bühne – ganz alleine. Wie ist es dazu gekommen?
Das Solo ist für ein Gastspiel ideal, weil technisch nicht kompliziert. Ich sitze da ja alleine am Tisch auf der Bühne. Dennoch bekommen die Leute einen kompletten Theaterabend zu sehen. Angefangen habe ich damit 1998 im Theater Heidelberg, daraus entstand eine Produktion an der Oper Frankfurt. Ich habe zuvor ja schon als Kabarettist im Radiostudio ganz alleine Programme mit vielen Personen gestaltet. Das wollte ich dann auch mal auf der Bühne probieren. In Heidelberg hat das wunderbar funktioniert. Und daraus entwickelte sich dann unheimlich viel.
Es bedarf dazu vermutlich einer besonderen Technik?
Es geht darum, die ganze Geschichte zu imaginieren und die Fantasie des Publikums anzuregen. Die Inszenierung entsteht im Kopf des Zuschauers. Wichtig sind dabei immer die Textfassungen. Der Theaterautor Rainer Dachselt hat fünf Jacques-Offenbach-Stücke für mich neu übersetzt. Die kann ich mit wenig Proben wieder aktivieren.
Eignet sich Offenbach denn besonders für ein solches Format? Die Melodien, die Bilder?
Das sind schon geniale Stücke. Gute Komödien, lustig, poetisch, theatralisch. Und es gibt einen gesellschaftskritischen Ansatz als Zuckerguss über dem Ganzen. Der ist total modern, viel moderner als etwa die Wiener Operette, bei der die Frauen kuschen, heiraten und dann glücklich sind. Bei Offenbach haben die Frauen die Hosen an. Und: Alle seine Stücke setzen sich kritisch mit der Obrigkeit auseinander.
Und sie sind durchaus frivol, finde ich.
Das kommt noch dazu! In Paris 1867, zur Zeit der Handlung, konnte man voll auf den Putz hauen, die Unterhaltungsindustrie ist damals aufgeblüht. Das Ausgangsmaterial der Übersetzung stammt aus den 1970er Jahren, das ist total prüde, geglättet, so auf gemütlich gemacht. Der Biss und die Anzüglichkeit Offenbachs sind weg. Das haben wir in unserer Fassung wieder rauszukitzeln versucht.
Aus dem Original?
Ja. Dachselt kann das wörtlich aus dem Französischen übersetzen und ist ganz nah am Original. Das ist hocherotisch und hat auch melancholische Momente. Eine tolle Bandbreite.
Sie sind bei solchen Solo-Abenden ja pausenlos gefordert. Braucht es da eine gute Tagesform?
Es hat schon einen sportlichen Aspekt. Ich muss mich gut vorbereiten.
Mit dem Barock-am-Main-Ensemble sind Sie dann bald schon wieder in der Region zu Gast.
Wir freuen uns alle sehr, dass der Kontakt zu den Wetzlarer Festspielen besteht. Beide dortige Spielstätten finde ich toll. „Horribilis von Huckevoll“ basiert auf einem Stück des Barockdichters Andreas Gryphius und spielt in Frankfurt im Dreißigjährigen Krieg. Es geht im Kern um einen klassischen Angeber, der entlarvt wird. Das ist der Grundplot vieler Komödien der Weltliteratur und geht schon auf die Antike zurück. Ein Typ, der nix kann, nur ein großes Maul hat, aber auch Erfolg. Und damit auch ein ganz aktuelles Stück. Man denkt da sofort an Donald Trump.
Funktioniert diese Frankfurter Mundart-Geschichte auch in Wetzlar?
Ja, klar. Wir spielen das nur in einem Umfeld, in dem man mit Mundart etwas anfangen kann. Wer Dialekt spricht, versteht auch andere Dialekte oder hat zumindest sein Amüsement daran, an den Schimpfworten etwa. Wetzlar gehört zu diesem Sprachraum, in dem das funktioniert.
Und mit Balladen kommen Sie dann noch einmal in den Lottehof ...
Die habe ich im Repertoire. Da geht es um bekannte und unbekannte Texte. Die Leute sind immer wieder überrascht, was das für tolle Geschichten sind, nicht wie die, mit denen man in der Schule gequält wurde.
Das nächste Highlight kommt im September, die Frankfurter Theatereröffnung. Wie stemmen Sie das alles?
Wir sind ein kleines gutes Team. Damit steht und fällt alles. Es ist ein Riesenschritt, bedeutet aber nicht, dass man sich entspannen kann. Bei der Fliegenden Volksbühne hatte jeder Auftritt den Charakter einer besonderen Veranstaltung. Und jetzt sind wir immer am selben Ort und bauen da ein Repertoire auf. Wir müssen diesen Ort bekannt machen und das Publikum gewinnen, damit es auch wiederkommt. Wir haben viele Ideen, stürzen uns da rein und können nur hoffen, dass es funktioniert.
Sie setzen damit auch den Dialekt wieder auf den Spielplan?
So wird das von Außen wahrgenommen, aber wir machen auch viele andere Sachen. Über die Hälfte des Programms hat wenig oder nichts mit Mundart zu tun. Was aber immer vorkommt, ist der Frankfurt-Bezug. Themen, die in der Luft liegen, etwa die Immobilien- und Wohnungskrise, zu der Rainer Dachselt gerade ein Stück für uns schreibt.
Gibt es denn ein Bedürfnis in dieser so internationalen Stadt, sich mit lokalen Themen auseinanderzusetzen?
Ich glaube schon. Das ist eine Gegenbewegung zur Globalisierung. Die Leute wollen wissen: Wo lebe ich hier eigentlich? Und genau das ist unser Thema. Die Tradition präsentieren, kritisch prüfen, aber auch weiterentwickeln.
Womit auch Leute von außerhalb angesprochen werden?
Auf jeden Fall. Wir wenden uns an alle, die hier leben. Leute, die die Stadt kennen, die die Eintracht kennen, die mal was von Goethe gehört haben ...
ZUR PERSON
Michael Quast zählt seit vielen Jahren zu den profiliertesten Theatermachern Frankfurts, der mit seinem Ensemble, der Fliegenden Volksbühne, auch immer wieder Gastspiele in Mittelhessen gibt. 1959 in Heidelberg geboren, arbeitete er nach dem Studium an verschiedenen Theaterbühnen in ganz Deutschland, bis er sich ab Mitte der 80er Jahre als Kabarettist einen Namen machte. 1998 begann er, gewitzte Adaptionen von Operetten Jacques Offenbachs’ auf die Bühne zu bringen. Es folgten weitere satirische Programme wie Goethes „Faust I“, Mozarts „Don Giovanni“ oder „Grimms Märchen“, allesamt im Duo- oder Trio-Format. Als Mitgründer des Festivals „Barock am Main“ zeigt er seit 2005 allsommerlich Komödien von Molière und anderen Barockdichtern in hessischer Mundart im Frankfurter Stadtteil Höchst – sowie seit Jahren auch bei den Wetzlarer Festspielen. 2008 gründete Quast wegen eines fehlenden eigenen Hauses die Fliegende Volksbühne, die nach langjährigem Engagement ab diesem Herbst endlich ihr eigenes Domizil beziehen kann: Am 19. September wird das neue Theater eröffnet, in dem viele Jahre lang Liesel Christs Frankfurter Volkstheater beheimatet war. Dort eröffnet dann die gelandete „Volksbühne im Großen Hirschgraben“ , die vor allem komödiantische, lokale und mundartliche Stoffe auf den Spielplan nimmt.
Björn Gauges, 13.06.2019, Gießener Anzeiger