Kroatische Autorin Ivana Sajko liest im Gießener taT aus „Liebesroman“/ Darstellung der gesellschaftlichen Zustände
Eine der wichtigsten Stimmen Südosteuropas war am Samstagabend zu Gast in Gießen: Ivana Sajko. Im Herbst vergangenen Jahres wurde sie mit dem Internationalen Literaturpreis des Hauses der Kulturen der Welt in Berlin ausgezeichnet. An diesem Abend im taT las die Autorin nicht nur aus ihrem prämierten Werk „Liebesroman“, sondern gewährte auch im Gespräch mit ihrer Übersetzerin Alida Bremer einen Einblick in ihr Leben und ihre Arbeit.
Die gebürtige Kroatin, die seit drei Jahren in Berlin lebt, ist in Gießen keine Unbekannte. Das von ihr inszenierte Stück „Rio Bar“, das sich mit dem Trauma des Krieges beschäftigt, wird ganz aktuell auf der taT-Studiobühne gespielt. „Ihre Stücke sind poetisch und besitzen zugleich eine politische Brisanz“, betont ihre Übersetzerin, die seit 18 Jahren eng mit der Autorin zusammenarbeitet. Die Autorin, die dem Theater neue Impulse gegeben hat, betont: „Mein Ziel ist es, eine andere Sprache zu finden, welche die Stärke einer politischen Rede besitzt.“ Dabei steht für sie nicht die Geschichte, sondern vielmehr die Darstellung der Zustände im Mittelpunkt. „Die Schilderung von Emotionen spielen für mich eine große Rolle“, sagt sie. Das wird bereits zu Anfang ihres „Liebesromans“ deutlich. „Er konnte ihre Nähe nicht mehr ertragen. Es reichte, dass sie ihren Mund öffnete“ heißt es. Erzählt wird die Dreiecksgeschichte zwischen einem Mann, einer Frau und einer Gesellschaft, die gnadenlos ist. Es geht um das Weiterleben, obwohl es an jedem Tag Rückschläge gibt.
„Wie kann eine Liebe weiter bestehen, wenn es jeden Tag um das existenzielle Überleben geht?“, lautet die grundlegende Frage des teilweise drastisch formulierten Romans, der autobiografische Züge trägt. „Er wirkte, als ob er einen Tumor statt einer Frau habe“, schreibt Ivana Sajko. Beide Protagonisten haben mehr von ihrem Leben erwartet als eine enge Zweizimmerwohnung, deren Miete sie sich kaum leisten können. Während er, ein arbeitsloser Humanist, versucht, einen Liebesroman zu schreiben und als politscher Aktivist unterwegs ist, hat sie ihren gut dotierten Job als Schauspielerin am Theater aufgegeben, um sich um das gemeinsame Kind zu kümmern. Es entbrennt ein permanenter Streit zwischen Schlafzimmer und Küche.
Der ganze Roman ist wie ein Streit geschrieben, in dem das Paar verschiedene Phasen durchläuft. Immer wieder fallen „Worte, Worte, Worte“. Und „egal, was einer sagt, es ist immer falsch“. Bis zum Ende kämpfen die Hauptpersonen um ihre Liebe, die nur noch von schönen Erinnerungen aufrechterhalten wird.
Zwischendurch wird auch eine reale Situation aus Zagreb geschildert, die vom Bau eines Shopping-Centers in einem historischen Teil der Stadt handelt. Der Bauherr, ein korrupter Geschäftsmann, lässt gegen den Willen der Bevölkerung das moderne Gebäude bauen. Auch der Protagonist des Buches zählt zu den Demonstranten und stößt dabei auf „einen Verdammten dieser Erde“.
Ivana Sajko liest Auszüge aus ihrem Roman auf Kroatisch und beantwortet auch Fragen nur in ihrer Muttersprache, während Alida Bremer alles souverän übersetzt. Dass die Chemie zwischen den Beiden stimmt, ist deutlich zu spüren. „Das Lied dieser Stadt ist nicht für dich“ lautet der Titel des Theaterstücks, an dem die Autorin aktuell arbeitet. Auch ein neuer Roman ist bereits in Vorbereitung.
Petra Zielinski, 28.01.2019, Gießener Anzeiger