Hofstetter landet Coup mit Solist des zweiten Sinfoniekonzerts
Man kann es schlicht einen Coup nennen, den Generalmusikdirektor Michael Hofstetter da beim zweiten Sinfoniekonzert des Philharmonischen Orchesters am Dienstagabend im Großen Haus des Stadttheaters gelandet hat. Geradezu schamlos war das reine Mozart-Programm um eine Solistenpersönlichkeit herumgestrickt. Die Rechnung ist aufgegangen; das begeisterte Publikum spendete kaum enden wollenden, stehenden Applaus. Wer ist dieser Künstler? Es handelt sich um den venezolanischen Soprancounter Samuel Mariño, gerade mit dem Studium fertig, ausgezeichnet 2017 beim Internationalen Gesangswettbewerb in Marseille. Kein Wunderkind, aber doch eine verblüffende, junge Stimme mit einem gewissen Sensations-Potenzial.
Arie
Denn Mariño steht am Anfang seiner Karriere, die steil ansteigen dürfte. Technisch makellos perlen ihm die Koloraturen, das Dramatische steht ihm musikalisch überlegen zu Gebote. Er konnte das demonstrieren in so unterschiedlichen Werken wie dem „Exsultate, jubilate“ oder der herrlichen, viel zu selten aufgeführten Konzertarie „Ah, lo previdi“, noch aus Mozarts Salzburger Zeit. Während der hohe Stil Mariño mühelos gelingt, fällt ihm das Empfindsame schwerer; da werden die Töne leicht brüchig, das Vibrato wirkt, wo es minimale Intonationsschwächen korrigiert, eng und fast ängstlich. Etwas unbeweglich klang die Stimme in der Arie des Sesto aus der Oper „La clemenza di Tito“, „Deh, per questo istante solo“, deren seelische Abgründe (für die Mozart ein Spezialist war) sich so nicht recht erschlossen. Mariños weitere Entwicklung wird mit größter Spannung zu verfolgen sein – gleich die erste Gelegenheit dazu bietet seine Mitwirkung in der Gießener Inszenierung von Georg Friedrich Händels „La resurrezione“ im März 2019. Hohe Theatralität prägte das Programm auch in den reinen Orchesterwerken. Das gilt schon für die praktisch aus lauter Effekten bestehende „Pariser Sinfonie“, die wirklich mitreißend und brillant dahinbrauste, aber natürlich erst recht für die Opernouvertüren zu „Tito“ und zu „Le nozze di Figaro“. Was prestississimo in der Sinfonie pulsierte, führte im „Figaro“ zum Verwaschenen: zu unpräzise war dieses Durchstürmen, als dass man Gelegenheit gefunden hätte, die ironische Doppelbödigkeit, die Listigkeit dieser Musik zu hören – das kann vielleicht bis zur entsprechenden Premiere im Dezember noch wachsen.
Karsten Mackensen, 04.10.2018, Gießener Anzeiger