Vom Berg Sinai ins Gelobte Land. Max Bruch macht sich in seinem Oratorium mit dem Propheten auf einen weiten Weg. Im Stadttheater wird es biblisch.
Am Ende stirbt der Knecht des Herrn. Moses geht im biblischen Alter von 120 Jahren dahin in dunklem Moll, nachdem er zuvor unter musikalischer Dramatik Großes vollbracht hat. Max Bruch ehrt in seinem vierteiligen Oratorium »Moses« den Propheten. Der Komponist beginnt die biografische Reise am Berg Sinai und erzählt danach vom Tanz um das Goldene Kalb, bei dem der fordernde Aaron, der ältere Bruder von Moses, im Libretto des Ludwig Spitta die tragische Rolle spielt. Kapitel drei schildert die Rückkehr der Kundschafter aus Kanaan, ehe sich das abendfüllende Werk dem Gelobten Land nähert, das Gott den Menschen versprach und Moses zwar nicht mehr erreicht, aber von einem Berg aus vor seinem Tod immerhin noch erblickt.
Das großformatige Vokalwerk, das selten aufgeführt wird, beschließt die Konzertsaison im Stadttheater unter dem Dirigat des stellvertretenden Generalmusikdirektors Jan Hoffmann. Bruch verlangt gleich nach mehreren Hundert Sängern, was die Dimension verdeutlicht, in der sich der Romantiker als Komponist bewegte. Am Dienstag kommen mit dem Chor und Extrachor des Hauses, dem Gießener Konzertverein und der Wetzlarer Singakademie immerhin 100 Laien- und Profistimmen zusammen. Das gut aufgelegte Philharmonische Orchester Gießen sowie drei erlesene Solisten bürgen zudem für Qualität.
Auch wenn die Arien und Chorpartien des »Moses« vielleicht weniger eingängige Melodien vorweisen als etwa der »Elias« von Mendelssohn, verfügen die Bruch-Stücke gleichwohl über stimmige Motive und eine solide Instrumentation, die dem Orchester Raum gibt, zu glänzen. Auch seine Sänger behandelt der Tondichter fürstlich.
Tenor Dan Karlström, kurzfristig als Aaron eingesprungen, ist allerdings mit der ihm abverlangten Intensität anfangs etwas überfordert. Seine Einsätze sitzen nicht punktgenau, es scheint, als suche er im ersten Kapitel noch den Schlüssel zum Erfolg. Beim »Goldenen Kalb« (Kapitel zwei) wird er dann fündig. Nach der Pause erfährt seine Partie eine weitere Steigerung. Aarons Finale (Kapitel drei) hat Format, was nicht zuletzt an Karlströms inbrünstig intoniertem »...führ uns zum Sieg!« liegt.
Heiko Trinsinger (Moses) vom Ensemble des Aalto-Theaters zeigt gleich zu Beginn, wer hier das Sagen hat. Sein stimmgewaltiger Bariton steht voll im Saft, er zwingt Karlström ein ums andere Mal akustisch in die Knie. Ob Trinsinger in den eher sensiblen Passagen nicht doch eine Spur zu laut auftrumpft, sei dahingestellt. Julia Borchert als Engel des Herrn intoniert fein austariert. In der Höhe wirkt ihr Sopran ein wenig bemüht, das gleicht sie mit Textverständlichkeit und einer prächtigen Mittellage wieder aus.
Am schönsten klingt dieser Bruch, wenn er elegisch wird, wenn die Bratschen die Melodie führen, ehe die Violinen sie streichzart übernehmen, oder die Hörner ein pulsierendes Thema anstimmen, bevor die übrigen Musiker im Tutti folgen. Sobald der von Hoffmann blitzsauber einstudierte Chor, der mit guter Gewichtung und vehementem Ausdruck ans Werk geht, das »Land der Träume« besingt, sind die Celli zur Stelle. Und natürlich dürfen die biblischen Posaunen nicht fehlen, während dem Engel die zarten Töne gebühren, wenn die Harfe es musikalisch auch mal glitzern lässt. Ausführlicher Applaus am Ende vom nicht ganz ausverkauften Großen Haus.
Manfred Merz, 21.06.2019, Gießener Allgemeine Zeitung