„Klangräume“ eröffnete am Freitagabend das Manfred-Becker-Ensemble auf der taT-studiobühne.
„Klangräume“ eröffnete am Freitagabend das Manfred-Becker-Ensemble auf der taT-Studiobühne. Das Quartett um den renommierten Akkordeonspieler und Komponisten spielte vor ausverkauftem Haus eine virtuose Mischung verschiedenster Stile und überraschte das hingerissene Publikum mit der Premiere von Beckers anspruchsvollem Werk „Berlin Firmament“.
Dazu war das taT genau der richtige Ort: Die Musiker saßen im Halbkreis auf der Bühne, zwei Lautsprechersäulen sorgten für gut dosierte Fülle, sparsames weißes Licht ließ die Mimik der Akteure erkennen. So konnten sich neben Becker auch Schlagzeuger Joe Bonica, Cellist Julien Blondel und Wollie Kaiser (Bassklarinette, Kontrabassklarinette und Bassflöte) entfalten und zugleich miteinander kommunizieren.
Versenkung in die Musik
Manfred Becker ist einer der wenigen Akkordeonisten im deutschen Jazz und war bereits mehrfach mit eigenen Kompositionen an Produktionen des Stadttheaters Gießen beteiligt, so etwa bei den Tanzproduktionen „Faust“ (2008) sowie den Schauspielinszenierungen „Tortuga“ (2009) und „Macbeth“ (2012). Teile des aktuellen Repertoires kündigte Becker ebenso an wie die Komposition „Berlin Firmament“. Das ganze Setting schuf eine ungemein konzentrierte Atmosphäre, geradezu kammermusikalisch, das die konzentrierte Versenkung in die Musik nahelegte; selbst die sonst stets über die Maßen gesprächigen U50er wussten an diesem Abend im Konzert nichts zu sagen. Vielmehr spürte man große Neugier und Spannung unter den Zuhörern, die sich auf ein ungewöhnliches Terrain begaben.
Los ging’s mit einem freien Spiel der Töne, einem sanften Gleiten, dem Becker Akkordeonflächen hinzufügte, während Bonica perkussiv dazu flüsterte und Kaiser auf der Bassflöte ein wenig summte. Er ist ein im freien Spiel erfahrener Musiker, der alle Tricks und akustischen Kniffe kennt – also eine Vielzahl von Geräuschen mit seinen Instrumenten erzeugen kann, was er später weiter verdeutlichte. Vor allem jedoch hatte er spielerisch etwas zu sagen und erarbeitete Beiträge, die sensibel das Geschehen ergänzen.
Das gilt auch für Cellist Blondel, der klanglich durchaus auch in Grenznähe agierte, während er zugleich die Funktion des Bassisten übernahm. Wohlgemerkt: Hier floss alles und die Musiker wanderten auch über ihre konzeptionellen Grenzen hinaus. Auffallend war die gute Laune und Spielfreude, die in den Gesichtern zu sehen war. Becker unterstützte die Kompositionen – man hörte auch Stücke der anderen – mit genauestens kalkulierten Klängen. Er nutzt das Instrument mal als großartige Orgelklangquelle, fügte dann wieder Musette-Elemente hinzu oder agierte frei im Jazzbereich. Es gab verschiedene Tempi. Bonicas „Mediomania“ etwa kam federnd und tänzerisch daher, andere Titel liefen getragen ab. In „Dialog und Choral“, einem Glanzlicht des Abends, knöterte Kaiser zunächst auf dem Bassrohr, dann entwickelte sich schöne Rasanz. Becker zog eine strahlende Akkordeonfläche ein, es folgte eine rieselnde Serie kleiner Töne, die auf Umwegen zu einem Tanzrhythmus fanden, verträumt und leise: großartig.
Hauptgewinn und Mittelpunkt des Abends war aber das „Berlin Firmament“, ein mehrsätziges Werk, zu dem Becker 2017 die Idee hatte. „Wir sind Teile eines größeren Ganzen“, deutete er eine darin enthaltene Thematik an. Hier gab es den ganz großen kompositorischen Bogen, der mit einem zarten Intro begann, gefolgt von einer flotten, leiseren Phase, dem eher schmalen Fluss der Töne, dann öffnete sich das Akkordeon in Akzenten zum Orgelformat. Das hatte Duktus und Struktur wie eine Oper, man hörte diverse Stimmen, Themen und Aussagen. Hier gingen dann wie im ersten Teil die Beiträge und musikalischen Stimmen ineinander über. Alles rundete sich schließlich zu einem großen Bogen, zu einer großen Formulierung. Und zu einem famosen Konzert, da waren sich die begeisterten Zuschauer am Ende einig. Riesenbeifall.
Heiner Schultz, 25.02.2019, Gießener Anzeiger