Familienstück „Jupp – Ein Maulwurf auf dem Weg nach oben“ nimmt Publikum mit unter die Bühne und hinter die Kulissen
Wer einmal dem Zauber des Theaters erlegen ist, der will irgendwann auch wissen, aus welchen Bestandteilen dieser Zauber zusammengesetzt ist. Genauso geht es Maulwurf Jupp, der sich im neuen Familienstück zur Weihnachtszeit daran macht, die Geheimnisse auf und hinter der Bühne des Stadttheaters zu erkunden. Unter der Regie von Christian Lugerth ist mit „Jupp – Ein Maulwurf auf dem Weg nach oben“ ein kurzweiliges, mit eingängigen Liedern und Tanzeinlagen angereichertes Schauspielvergnügen entstanden, an dem Kinder ab sechs Jahren eine Menge Spaß haben – und bei dem auch die erwachsenen Begleiter noch etwas lernen können.
Jupp ist „27 Wochen und zwei Tage alt“, stammt aus Lollar und hat sich kilometerweit bis zur Unterbühne des Stadttheaters durchgegraben. Jetzt steht er hier, direkt unter der Bühne des Großen Hauses, und erfährt, wer wirklich für den Erfolg der Stücke zuständig ist: die an diesem Ort lebenden Theatertiere. Angeführt werden sie von einer forschen Katze, hinzu kommen zwei alte Theaterhasen sowie ein Marder, der sich um Bühnentechnik, Kulissen und vor allem die wohlschmeckenden Kabel kümmert (Kostüme: Thomas Döll).
Gemeinsam nehmen sie Jupp – und damit auch das Publikum – mit auf eine Erkundungsreise durch das altehrwürdige Haus, für die der in Gießen vielbeschäftigte Regisseur Lugerth (zuletzt: „Kurze Interviews mit fiesen Männern“) und sein Bühnenbildner Udo Herbster die Perspektive umgedreht haben. Die sonst den Blicken verborgene Unterbühne ist nun Schauplatz der Geschichte und – wer hätte das gedacht? – auch der Ort, an dem alle Theaterfäden zusammenlaufen. Von hier unten aus greifen die Tiere behutsam und unerkannt in das Geschehen ein, das sich im Stockwerk über ihnen abspielt. Sie geben vergesslichen Schauspielern das passende Stichwort, der Kulisse mit dem Pinsel einen goldenen Farbanstrich und den Regisseuren manchen originellen Einfall, ohne dass die Menschen etwas davon ahnen. Die Wirkung ihrer Einflussnahme können sie durch ein riesiges Periskop verfolgen, während ihre Erzählungen den Zuschauern ein plastisches Bild vom Geschehen auf der Bühne über der Bühne vermitteln.
Nun hat sich auch Maulwurf Jupp auf sein Leben als Theatertier vorbereitet. So weiß er etwa, dass es komische, gefährliche und spannende Stücke gibt, wie er anhand einer Bananenschale zu demonstrieren weiß. Aber seine Neugier lässt ihn auch unvorsichtig werden, und so bringt er mit einem Auftritt weiter oben die Proben fast zum Platzen. Das Märchen „Froschkönig“ steht auf dem Spielplan, aber nun droht eine Absage. Doch dann wäre das Theater pleite, wie die Katze bei einem heimlichen Besuch des Intendantinnenbüros feststellt. Also müssen die Tiere nun selber ran, um das traditionsreiche Haus vor dem Scheitern zu retten.
Umgedrehte Perspektive
Das Stück aus der Feder von Gertrud Pigor erzählt so gewitzt wie lehrreich davon, wie es im Theater zugeht. Da gibt es Schauspieler, die ständig ihren Text vergessen, die das Lampenfieber plagt und die so eitel sind, dass sie sich weigern, in das Kostüm eines Tieres zu schlüpfen. Hinzu kommt in diesem Fall ein junger, unerfahrener Regisseur, dem es schwerfällt, das Chaos zu bändigen, wie die erfahrenen Theatertiere erkennen. Man ahnt, dass das alles so weit von der Realität nicht entfernt sein muss. Und dann ist da noch die Technik hinter der Bühne, die jederzeit für Ärger sorgen kann. Schließlich ist das Haus schon 111 Jahre alt, was sich zeigt, wenn der Frosch an einen Pfeiler klopft – und sofort der Staub von der Decke rieselt.
In einer guten Stunde Spielzeit erhalten die Zuschauer auf diese Weise viele spannende Einblicke ins Theaterleben. Überforderte Schauspieler, knappe Kassen und marode Technik gehören also dazu. Aber auch feste Rituale, große Neugier und vor allem die große Leidenschaft für die gemeinsame Bühnensache. Was bleibt den Kindern denn sonst, wenn es kein Theater mehr gibt? Na, „Handys, Videos, Netflix“, fällt dem alten Theaterhasen ein. Doch das ist alles nichts gegen die Fassung des „Froschkönigs“, mit der die Tiere – und das engagierte Ensemble – schließlich ihr Publikum für sich einnehmen. Allein diese wunderbare Schlussepisode zeigt, welchen Zauber das Theater entfachen kann – bei kleinen wie bei großen Zuschauern.
Björn Gauges, 28.11.2018, Gießener Anzeiger