Ein Abend der Nuancen: Tanzcompagnie Gießen präsentiert Tetralogie mit Duetten des Argentiniers Daniel Goldin
Vier Paare unterwegs, tanzend, voller Hoffnung, auf dem Weg in eine ungewisse Zukunft. Die Tanzcompagnie Gießen präsentierte auf der taT-Studiobühne mit dem Stück „Wegerzählungen“ des argentinischen Choreographen Daniel Goldin die unterschiedlichen Lebensgeschichten und Erwartungen dieser acht Menschen. 1994 uraufgeführt, hat sich „Wegerzählungen“, im Original „Cuentos del camino“, längst zu einem Klassiker der choreographischen Moderne in Deutschland entwickelt. Goldin entwickelte für die Tanzcompagnie eine neue Fassung und war zur Einstudierung selbst nach Gießen gekommen.
Paare auf ihren brüchigen Lebenswegen: Ein Thema, das Daniel Goldin nie losgelassen hat. Der namhafte Choreograph studierte 1987 bis 1992 an der Folkwang Hochschule in Essen und war von 1988 bis 1993 Mitglied im Folkwang Tanzstudio unter der künstlerischen Leitung von Pina Bausch.
„A la deriva“: So lautete der Titel des ersten Duetts. Fast unbeweglich sind Laura Avila und Yusuke Inoue in der Dunkelheit zu entdecken, beleuchtet nur von einem schmalen Lichtstrahl. Zwei erschöpfte Menschen, wie Treibgut ans Land gespült, die zitternd eine Annäherung versuchen und am Ende doch scheitern. Das verstehen die beiden Tanzenden in ihrer Performance feinsinnig zum Ausdruck zu bringen.
Das zweite Duett zeigt Lebenswege aus einer anderen Perspektive: Maria Adriana Dornio und Sven Krautwurst sind in „La peregrinacion“ (Die Wallfahrt) als Reisende unterwegs. Sie schreiten dem Horizont entgegen, versuchen Annäherung und Verständigung in immer neuen Formen. Die Tänzer erweisen sich als eingespieltes Team, in ihren Bewegungen sensibel aufeinander eingehend, oft in innigen Umarmungen.
Besonders viele Emotionen hält das folgende kleine Tanzstück bereit. „La sombra y la luna“ (Der Schatten und der Mond) lautet der Titel und geradezu traumhaft ist der Auftritt des Paares Julie de Meulemeester und Patrick Cabrera. Die Tänzer umrunden sich, spielen miteinander, messen den Raum aus. Die Bewegung der Hände, der Ausdruck des Gesichtes ist in diesem Stück besonders wichtig, und beide Tänzer präsentieren sich in inniger Verbundenheit, wie im Traum oder in Trance.
Schließlich „Alborada“ (Tagesanbruch): In ihrem Auftreten und auch in den Kostümen wirken Caitlin-Rae Crook und Gleidson Vigne, als seien sie irische Auswanderer, die in die Neue Welt unterwegs sind. Zunächst gebannt und nur mit wenigen Bewegungen in Richtung Zukunft blickend, kommen die Tanzenden im Lauf des Stückes zu keltischer Folkloremusik immer mehr in Fahrt. Der Tanzabend kombiniert die Gitarren- und Dudelsackklänge unter anderem mit Musik von Alexander Borodin und Antonio Seoane, unterbrochen von bedrohlichen Sturmgeräuschen.
Vier Paare, vier Lebensschicksale. Einen Ausschnitt daraus hat der Choreograph Daniel Goldin mit seinen „Wegerzählungen“ das Gießener Publikum miterleben lassen. Eine Choreographie wie feine Kammermusik, hat eine Fachzeitung dazu geschrieben. Diese Charakteristik trifft die Stimmung genau, und wer das kleine Format der Kammermusik liebt, hat auch diesen Abend des Ausdruckstanzes und der feinen Nuancen genossen.
Langer und begeisterter Applaus belohnte die Tänzer für ihre ästhetischen und sorgfältig einstudierten Darbietungen. Eingeschlossen in den Beifall auch Choreograph Daniel Goldin sowie Kostümbildner Matthias Dietrich.+
Ursula Hahn-Grimm, 01.12.2018, Gießener Anzeiger