Dass Theatermaus Thea im Stadttheater lebt, ist bekannt. Und Maulwurf Jupp bekommt in diesem Jahr sogar ein eigenes Familienstück zur Weihnachtszeit. Seit dieser Woche hat das Stadttheater aber noch einen weiteren tierischen Untermieter: Wolli, das Wollschaf.
»The first cut is the deepest«, sagt Abdul-M. Kunze beim Verlassen der Studiobühne mit einem Lächeln im Gesicht. Der Leiter der Kinder- und Jugendsparte am Stadttheater spielt mit dem Cat-Stevens-Zitat darauf an, dass gleich mehrere Kleinkinder an diesem Morgen zum ersten Mal ein echtes Theaterstück auf einer echten Bühne gesehen haben. Die staunend aufgerissenen Augen und die Begeisterung, mit der die Kindergartenkinder bei der Premiere von »Wolli und das Knäuel« dabei sind, zeigt, dass dieser »Cut« tatsächlich eindrückliche Spuren hinterlassen hat. Möge sich die so geweckte Theaterbegeisterung wie ein roter Faden durch ihr weiteres Leben ziehen.
Puppenspieler aus Kabul
Apropos roter Faden: Mithilfe solcher roter Fäden lockt Melli, gespielt von Paula Schrötter, zu Beginn die Kinder vom Foyer hinab zur Bühne im Keller. Auch vor einer auf Tüchern gemalten grasgrünen Wiese liegen dicke rote Wollknäuel herum – und aus einem von ihnen schält sich sogar noch eine Fee (getanzt von Katharina Wiedenhofer). Drei Wünsche hat sie zum Dank für Latzhosenträgerin und Wollexpertin Melli frei. Eine Flöte und die Geschicklichkeit, diese auch spielen zu könne, wünscht sich Melli. Doch mit ihrem dritten Wunsch tut sie sich schwer, denn plötzlich taucht ein von Puppenspieler Ahmad Nasir Formuli bewegtes Schaf auf, das frisch geschoren vor Kälte zittert. Wird sich Melli erweichen lassen, ihren dritten Wunsch für einen dicken Pullover einzusetzen, der dem bibbernden Schaf übergezogen werden kann?
Idee von Roman Kurtz
Stadttheaterschauspieler Roman Kurtz hatte die Idee zu dieser zauberhaft-poetischen Geschichte, die bestens geeignet ist, Jungen und Mädchen ab drei Jahren zu begeistern. Spartenübergreifend vereint seine Stückentwicklung Schauspiel, Tanz, Puppenspiel und Musik. Denise Schneider hat mit dicken roten Wollknäueln und Almidylle im Hintergrund eine so einfache wie farbenprächtige Bühne dafür geschaffen. Schauspielerin Paula Schrötter hat schon beim Hinaustreten aus dem Foyerfahrstuhl die Aufmerksamkeit der Kinder sicher und Tänzerin Katharina Weidenhöfer kann sich auch ohne Worte bei den Kleinen leicht verständlich machen. Das von dem Kabuler Puppenspieler Ahmad Nasi Formuli gebaute und bewegte Schaf kommt mit seinem drolligen Gesichtsausdruck und dem herzzerreißenden »Mäh« beim jungen Publikum bestens an.
Doch auch wenn sie sich von der Magie der Geschichte gefangennehmen lassen, bleiben die Kinder im Publikum erfrischend pragmatisch. Dass da ein schwarzgekleideter »Junge« die Schafpuppe bedient, wird lebhaft kommentiert. Und Melli bekommt jede Menge Tipps, wie sie dem frierenden Schaf ganz leicht mit einer Decke helfen könnte. Mitfiebern, Staunen und Begeisterung – mehr kann man von einem ersten Theaterbesuch nicht erwarten, damit der auch tatsächlich Eindruck hinterlässt.
Karola Schepp, 08.09.2018, Gießener Allgemeine Zeitung