Hervorragende Darsteller und große Hits: Musical „Spatz und Engel“ erzählt im taT von Édith Piaf und Marlene Dietrich
Zwei der größten Diven des 20. Jahrhunderts trafen am Donnerstagabend auf der taT-Studiobühne aufeinander: Édith Piaf, „der Spatz von Paris“ und Marlene Dietrich, „der Blaue Engel“. In der von Wolfgang Hofmann brillant inszenierten Version des Musicals „Spatz und Engel“ wurde bei der Premiere vor ausverkauftem Haus auf eindringliche Weise die Geschichte einer bisher kaum thematisierten Freundschaft erzählt.
Die Rolle der Édith Piaf war Sophie Berner – die zuletzt mit ihrem Bühnenprogramm „Pure Imagination“ am Stadttheater überzeugen konnte – auf den Leib geschrieben, während der ebenfalls in Gießen unter anderem durch „Den Kuss der Spinnenfrau“ bekannte Andrea Matthias Pagani äußerst glaubhaft Marlene Dietrich verkörperte. Das Duo überzeugte nicht nur mit überwältigenden Stimmen, sondern bewies auch großes darstellerisches Talent. Etwa als Piaf (Berner) ihre deutsche Freundin in betrunkenem Zustand als „Führer“ bezeichnet und wie ein Soldat durchs Publikum läuft oder als Marlene (Pagani) Piaf ihre Liebe erklärt. Gleich mehrere Nebenrollen – vom Pagen bis hin zum Fotografen – wurden perfekt von Hanna Dambeck und Glenn Buchholtz übernommen. Begleitet wurden die Darsteller von einem vierköpfigen Ensemble unter der musikalischen Supervision von Martin Spahr.
Das Stück setzt im Jahre 1960 ein, als Édith Piaf und Marlene Dietrich ein gemeinsames Konzert in Baden-Baden geben. Der Gesang der französischen Chansonnière wird als „berühmter als der der Nachtigallen“ gerühmt, die deutsche Schauspielerin, die lange in den USA lebte, als „einziger deutscher Weltstar, erstmals auf Heimattournee“ angekündigt. Schon bei diesem Auftritt wird klar, dass diese zwei Frauen unterschiedlicher nicht sein könnten.
Die Deutsche, aus einer bürgerlich-preußischen Familie stammend, liebt den großen Auftritt, die Französin – Tochter eines Schaustellers und einer Sängerin – tritt eher schlicht und zurückhaltend auf. Gemeinsam sind ihnen jedoch ihre vielen Liebschaften und der Hang zum Alkohol. Entlang der wenigen bekannten Fakten – Piaf erwähnte die Dietrich beispielsweise nie in ihrer Biografie und auch die Schauspielerin hielt sich in Aussagen über die Freundin sehr zurück – wird mit Worten und Liedern eine bewegende Geschichte erzählt. Bekannt ist, dass die Beiden sich 1948 bei einem Auftritt Piafs in den USA kennengelernt haben. Ob sie sich, wie in „Spatz und Engel“ augenzwinkernd dargestellt, allerdings wirklich auf der Damentoilette hinter der Bühne kennengelernt haben, ist fraglich. Hier war der Fantasie der Autoren des 2012 entstandenen Stücks keine Grenzen gesetzt. Auch ob zwischen den beiden Frauen eine Liebesbeziehung bestand, wie im Stück recht deutlich anklingt, und in wieweit die Dietrich die Karriere der Piaf in den USA vorantrieb, ist nicht dokumentiert.
Ganz am Anfang schenkt Marlene Dietrich Édith Piaf ein mit Smaragden besetztes Kreuz, das diese bis zu ihrem frühen Tod 1963 trägt, während die Französin ihrer Freundin eine handschriftliche Notiz mit den Worten „Marlene, vergiss nie, dass ich Dich liebe“ gibt, welche diese bis zu ihrem Tod 1992 behielt.
„Sie könnte das Telefonbuch rauf und runter singen und man würde ihr zuhören“, sagt Marlene Dietrich über Édith Piaf, der sie im Musical stets mit Rat und Tat zur Seite steht. Während das tragische Leben der französischen Sängerin thematisiert wird, erfährt man so gut wie nichts über das Privatleben der Dietrich zur Zeit der Freundschaft.
Männer und Alkohol
„Wenn ich mich von einem Mann trenne, ist er für mich gestorben“, sagt Édith Piaf. Das gilt allerdings nur so lange, bis sie den Boxweltmeister Marcel Cerdan kennenlernt, der 1949 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben kommt. Als sie von seinem Tod erfährt, hat Sophie Berner einen ihrer größten Auftritte des Abends. Im Publikum stehend, singt sie gefühlvoll Piafs unter die Haut gehendes Chanson „Mon Dieu“.
Weitere Affären, unter anderem mit Georges Moustaki, mit dem sie 1959 in einen Autounfall verwickelt war, von dem sie sich nie gänzlich erholte, folgen. Kurz vor ihrem Tod gelingt ihr mit „Je ne regrette rien“ – im Prinzip eine Zusammenfassung ihres Lebens – ein weiterer Welthit, den Sophie Berner stimmgewaltig intoniert. Überhaupt lebte der Abend neben den überragend vorgetragenen, einfühlsamen Dialogen von den Welthits der Protagonistinnen. Dietrichs, von Pagani mit erotischer-rauchiger Stimme, vorgetragene Titel „Sag mir, wo die Blumen sind“, Piafs „My Lord“ und vor allem das wundervolle Duett „La Vie en Rose“.
„Ich habe mein Publikum noch nie im Stich gelassen“, sagte die erkrankte Piaf vor einem ihrer letzten Auftritte. „Dein Publikum, das sind Voyeure“, entgegnete die vernünftigere Dietrich. Ein Epilog zeigt die vereinsamte Schauspielerin, die ihre Freundin um beinahe 30 Jahre überlebt hat, in ihrem Pariser Appartement. Das Musical, abseits biografischer Wahrheiten, verstand es mit Wortwitz, viel Gefühl und tragischen Momenten von Anfang bis zum Ende zu fesseln.
Die Musik stammte von Daniel Große Boymann und Thomas Kahry, für die Arrangements zeichnete Severin Geissler verantwortlich, Bühne und Kostüme lagen in den Händen von Lukas Noll.
Petra Zielinski, 09.03.2019, Gießener Anzeiger