Das Leben wagen - Gießener Allgemeine Zeitung
23.02.2018

Anrührend ohne rührselig zu sein ist die jüngste Produktion im Theaterstudio. Patrick Schimanski gelingt dort mit dem Musical »Das Orangenmädchen« nach dem Jugendroman von Jostein Gaarder der ganz große Wurf.

Es gibt Theaterstücke, die faszinieren jugendliche wie erwachsene Zuschauer gleichermaßen. Das Musical »Das Orangenmädchen« nach Jostein Gaarders Roman von 2003 gehört definitiv dazu. Und weil es Regisseur Patrick Schimanski mit überbordender Fantasie, musikalischer Raffinesse und Gespür für melancholische Poesie auf die Bühne bringt, wird diese neue Studioproduktion zum magischen Abend. 90 Minuten lang schaut und hört man verzaubert zu.

In »Das Orangenmädchen« – bei Martin Lingnau, Christian Gundlach und Edith Jeske vom Theater Trier als Musicalversion in Auftrag gegeben und 2004 uraufgeführt – taucht der junge Georg beim Lesen eines Briefes seines früh verstorbenen Vaters in die Vergangenheit ein. Anhand der im Briefvermächtnis erzählten Liebesgeschichte um das Orangenmädchen philosophieren Vater und Sohn über die großen Themen des Lebens: Tod, Liebe und Entscheidungen. Und Georg lernt etwas für sein eigenes Leben.

Die großen Themen des Lebens


Angelika Lenz hat für diese Geschichte eine Bühne mit Jugendzimmercharme entworfen, die auf verschiedenen Zeitebenen unterschiedlichste Räume eröffnet. Live-Kameraaufnahmen schaffen eine weitere Dimension. Planetenbilder zieren den Bühnenhimmel, in Hängematte und Siebzigerjahre-Eggchair philosophieren Vater und Sohn und treten immer wieder in die erzählten Spielszenen ein. Georg erkennt, dass die Vergangenheit seines Vaters Impulse für seine eigene Zukunft geben kann. Dessen geliebtem Orangenmädchen entspricht Georgs Angebetete in zitronengelb (Kostüme: Teresa Pešl), dessen Wut angesichts des nahenden Todes kann Georg die Lust auf das Leben trotz möglicher Leiderfahrungen entgegensetzen.

Spartenübergreifend treffen ein Musicaldarsteller, ein Opernsänger und zwei Schauspielerinnen sowie zwei Live-Musiker (Klavier: Wolfgang Wels/Evgeni Ganev und Cello: Aleksander Zhibaj/Cornelia Walther) aufeinander. Musicaldarsteller Maurice Daniel Ernst gibt als Gast eine beeindruckende Vorstellung. Sein Georg kann als Kleinkind mit Astronautenfimmel ebenso überzeugen wie als ungestümer Jugendlicher, der schüchtern die Liebe findet, aber auch den Mut, das Leben zu wagen. Geschickt spielt er auf der Klaviatur jugendlicher Unbekümmertheit, kann aber auch die Nachdenklichkeit des Waisen glaubhaft machen. Opernsänger Tomi Wendt spielt den Vater, der seine Verantwortung für den Sohn auch über seinen Tod hinaus ernst nimmt, voll anrührender aber niemals rührseliger Traurigkeit. Er nimmt sich stimmlich zurück, um die Ausgewogenheit im Team nicht zu gefährden und berührt mit zarten Balladen und feinen Nuancen in seinem Spiel.

Anne-Elise Minetti ist das rätselhafte Orangenmädchen alias Georgs Mutter und kann – wieder einmal – nicht nur als Schauspielerin, sondern auch als Sängerin punkten. Paula Schrötter schwirrt als Georgs kesse Angebetete sehr präsent über die Bühne und setzt mit der Live-Kamera immer wieder ihre Kollegen in Szene.

Den 90-minütigen Zauber mit einer magisch-philosophischen Geschichte und schmissigen Melodien zwischen Klassik, Pop und Rock’n’Roll sollten sich junge wie ältere Zuschauer auf keinen Fall entgehen lassen. Weitere Vorstellungen sind am 3., 21. und 22. März, 1. und 20. April im taT.

 

Karola Schepp, 23.02.2018, Gießener Allgemeine Zeitung