„Du verblödest“ - Gießener Allgemeine Zeitung
16.09.2014

Carolin Weber und Roman Kurtz als Alt-68er im taT

„Alte Liebe rostet nicht“, sagt der Volksmund. Der Ehe von Lore und Harry, den zwei Hauptpersonen in Elke Heidenreichs und Bernd Schroeders Roman „Alte Liebe“, jedoch merkt man die 40 Jahre an. Sie, eine literaturverliebte Bibliothekarin, und er, ein pensionierter Architekt, scheinen wenig gemein zu haben. Doch der Schein trügt und das Glück der beiden kehrt zurück, wie Carolin Weber und Roman Kurtz bei ihrer Lesung auf der taT-studiobühne beweisen.

Die Alt-68er führen keine Bilderbuchehe. Zwar hält die Ehe zwischen Harry und Lore schon sehr lange, Zweifel am Liebesglück hegen jedoch beide. Sie wünscht sich einen aktiveren Mann, der mit ihr gemeinsam die Literatur genießt und mit auf Reisen geht. Er genießt die Ruhe in seinem Garten und spielt Golf mit einem Zahnarzt. „Du liest nicht, du interessierst dich nicht, du verblödest“, lautet der Vorwurf von Lore, den Harry ignoriert. Die Ehe ist festgefahren. Die Meinung über ihre Tochter Gloria jedoch teilen die beiden. Schon zweimal war sie verheiratet, nun will sie sogar einem Industriellen heiraten, einen reichen Bonzen aus Leipzig. Für die Alt-68er ein Schock. Doch in Gesprächen über die Hochzeit, über den Tod der Mutter und des Bruders nähert sich das Paar einander wieder an. Die „Leipziger Fürstenhochzeit“ soll dann zur „Auffrischung des antikapitalistischen Kampfgeistes der 68er“ dienen. Todesfälle bringen beide zum Grübeln über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Dabei geht es in dem Dialogroman gleichermaßen schroff und zärtlich, kratzbürstig und versöhnlich, ungeduldig und schwelgend zu. Carolin Weber und Roman Kurtz vom Stadttheater füllten die Personen mit Leben, gaben sich nicht mit einer einfachen Lesung zufrieden, sondern spielten die Rollen der Lore und des Harry perfekt.
Das Bühnenset und Outfits des Protagonisten ergänzte diese mit Schauspielerei veredelte Lesung. Kurtz etwa stand in seiner Rolle in Ringelsocken, Cargohose und mit Weste auf der Bühne. Zwischen alten Zeitungen, Büchertürmen, Weinflaschen und Pflanzen nahm der Dialog des Ehepaars eine melancholische und zugleich heitere Fahrt auf, die den nahezu ausverkauften Saal begeisterte. Untermalt wurde die Stimmung vom gut aufgelegten Dirigenten des Stadttheaters, Martin Spahr, der die Szenerie am Flügel begleitete.
 

16.09.2014, Gießener Allgemeine Zeitung