Musicalzauber beim ORANGENMÄDCHEN im taT - Gießener Anzeiger
24.02.2018

Einen ausgezeichneten Eindruck erweckte die neue Produktion im taT, ein Musical. "Das Orangenmädchen" in der Inszenierung von Patrick Schimanski rührt an mit emotionalen Werten und unterhält mit eingängigen und witzigen Liedern. Die Zuschauer der ausverkauften Premiere waren hellauf begeistert.

Das Stück von Martin Lingnau, Christian Gundlach und Edith Jeske nach dem Roman von Jostein Gaarder läuft unter günstigen Bedingungen: Maurice Daniel Ernst ist Musicaldarsteller, Tomi Wendt Opernsänger und Anne-Elise Minetti und Paula Schrötter sind Schauspielerinnen. Die allerdings sehr ordentlich singen. Die instrumentale Unterstützung besorgen Aleksander Zhibai am Cello und der musikalische Leiter Wolfgang Wels am Klavier. Die musikalische Einrichtung stammt vom musicalerfahrenen Martin Spahr.

Dem Zielpublikum des Romans gemäß sitzen viele junge Leute im Saal. Es ist die Geschichte Georgs (Maurice Daniel Ernst), der seinen Vater Jan Olav (Tomi Wendt) nie wirklich kennenlernen konnte, da dieser früh starb. Doch dann taucht ein Brief des Vaters an den Sohn auf. Darin berichtet er von einem geheimnisvollen Orangenmädchen (Anne-Elise Minetti), von verpassten Chancen und dass man manchmal zweimal hinsehen muss, ehe man die große Liebe erkennt. Für Georg beginnt eine Reise in die Vergangenheit, bis er merkt, dass es auch um seine Zukunft geht. Denn durch die Geschichte des Vaters findet Georg letztlich den Mut, Isabell (Paula Schrötter) anzusprechen - das Mädchen mit dem Geigenkoffer.

Das ansprechend natürliche Spiel Ernsts zieht den Betrachter sogleich ins Geschehen, wobei sein schöner, angenehm klar intonierender Gesang sofort den Musicalzauber entfacht, der einen mitnehmen kann in die Geschichte. Tomi Wendt als sympathischer Vater, von nahem Tod bedroht, liefert neben seinem wunderbar weichen und warmen Gesang einmal mehr den Nachweis darstellerischer Fähigkeit. Anne-Elise Minetti als Mutter spielt mit größter Natürlichkeit und nuancierter Emotionalität, und auch sie singt ganz wunderbar. Dabei ergeben sich mehrere Passagen anrührend geschlossenen Satzgesangs, Ernst und Wendt legen zu Beginn gleich mal damit los - und die Musik funktioniert. Völlig integriert ist Paula Schrötter als Mädchen mit dem Geigenkoffer, die zukünftige Partnerin Georgs. Sie hat szenisch zwar wenig zu tun außer letztlich weniger prägnante Videoaufnahmen zu übertragen, agiert jedoch als Figur frisch und sympathisch und liefert ihre Gesangsparts tadellos ab.

Das originelle Bühnenbild von Angelika Lenz bietet zahlreiche Möglichkeiten der optischen Akzentuierung übers Video hinaus, die auch sinnfällig genutzt werden, dem üblichen Bühnenstandard geschickt aus dem Weg gehen und zugleich das Wesentliche ins Bild setzen.

Witz und Emotionalität

Teresa Pešls Kostüme unterstützen die Figuren (Ernst trägt eine tolle Jacke, als kleiner Junge zuweilen einen Raumanzug). Vor allem jedoch liefern Zhibai und Wels eine zuweilen rockige, dann wieder anrührend emotionale Grundlage. Hervorzuheben sind die sehr ausgeschlafenen Texte der Lieder, die Emotionalität, Witz und auch Klugheit zwanglos vereinen. Vielleicht hätte man Minetti und Schötter noch ein paar Chorpassagen extra aufdrücken sollen, um mehr vokale Fülle zu erhalten; sie würden's packen. Sie sind dafür sehr originell choreografiert.

Das sehenswerte Kammerstück gleitet in der offenen Dekoration elegant durch mehrere Zeitebenen und weist nicht einen langweiligen Moment auf. Und es läuft angenehm abseits des üblichen Musicalstils.

 

Heiner Schultz, 24.02.2018, Gießener Anzeiger