Pilgerreise zu Beethoven - Gießener Anzeiger
15.09.2020

Mit seinem Programm "Mein Wagner" feiert Dominik Wilgenbus den 250. Geburtstag des großen Komponisten Ludwig van Beethoven im Stadttheater.

In diesem Jahr jährt sich der Geburtstag von Ludwig van Beethoven zum 250. Mal. Auch dieses Gedenkjahr ist der Corona-Pandemie fast vollständig zum Opfer gefallen. Gut, dass der Rezitator und Regisseur Dominik Wilgenbus sich dem Thema nähert, wenngleich auch aus einer ungewöhnlichen Perspektive: Mit seinem Programm "Mein Wagner" gastierte er am Sonntagabend im Stadttheater. "Sie werden heute nichts über Wagner, sondern nur von Wagner hören", kündigte Wilgenbus dem Publikum an. Das erstaunte, ließ doch der Titel zunächst etwas anderes vermuten.

In dem folgenden Programm ging es dann auch nicht um das Näherbringen des Komponisten Richard Wagner, sondern um eine ziemlich gute Novelle von ihm. Bevor er als Komponist bekannt wurde, lebte er als junger Mann für einige Zeit in Paris, wo er auch regen Kontakt zu Heinrich Heine pflegte. Er versuchte sich in verschiedenen Metiers, unter anderem auch als Autor. Wagner verfasste verschiedene Novellen, unter anderem "Eine Pilgerreise zu Beethoven", die 1840 in einer französischen Musikzeitung veröffentlicht wurde. Sie erzählt die Reise eines bis dato erfolglosen Komponisten zu seinem großen Vorbild Ludwig van Beethoven nach Wien. Ohne Zweifel trägt der Erzähler autobiografische Züge Richard Wagners, der sich dadurch indirekt durch diese Erzählung zum legitimen Erben des großen Beethovens erhebt und dies ohne jeden Selbstzweifel. Spätestens nach den ersten Sätzen waren sämtliche Zweifel über den Titel Programm verworfen, denn Wilgenbus schaffte es, das Publikum von Anfang an in die Atmosphäre des 19. Jahrhunderts mitzunehmen, mitsamt einer feinen Ironie, die sich wohl erst dem heutigen Leser beziehungsweise Zuhörer erschließt. Geprägt von den Vorbildern Heine und E.T.A Hoffmann entfaltet Wagner in seinem Text eine eigene plastische Sprachgewalt, die Wilgenbus gekonnt wiedergibt. Er schaffte es, die Welt des mittellosen Komponisten und seine grenzenlose Verehrung zu seinem unendlich weit entfernten Vorbild plastisch vor dem geistigen Auge der Zuhörer auferstehen zu lassen. Nicht zuletzt weist der Titel "Pilgerfahrt" schon auf die geistige Überhöhung des angebeteten Idols hin. Hier drängen sich unweigerlich Bilder von Massenhysterien bei aktuellen Pop- und Medienstars auf.

Ein Abend in dessen Mittelpunkt zwei Komponisten stehen: Wagner und Beethoven, wenngleich auch nur durch die erzählerische und literarische Brille des einen, das geht nicht ohne Musik. Konsequent wählte Wilgenbus keine Kompositionen von Beethoven aus, wie dies andere Rezitatoren tun. Er spielte ausschließlich Klavierstücke von Wagner und verwob die einzelnen musikalischen und textlichen Passagen zu einem runden akustischen Klangteppich. Dazu wird kein eigener Klavierspieler benötigt, das kann er selbst und das richtig gut. Dass die Passagen zudem sehr gekonnt, pointiert und passgenau aufeinander abgestimmt waren, versteht sich von selbst. Die Novelle gehört - wie Wilgenbus zu Beginn der Veranstaltung sagte - zu den besten Künstlernovellen ihrer Art: Am Ende der rundum gelungenen Vorstellung muss man ihm recht geben: Unbedingt lesenswert. Diese Geschichte hat Wilgenbus vor einigen Jahren als Hörbuch veröffentlicht.

Dominik Wilgenbus ist freischaffend als Regisseur, Übersetzer, Autor und Dozent tätig und dem Gießener Publikum als Regisseur bekannt. Er inszenierte "Barbier von Sevilla" und wird in dieser Spielzeit bei der Oper "Zaira" Regie führen. Von daher war sein Gastspiel ein kleines Heimspiel und so wurde er auch vom Publikum im Großen Haus empfangen.


Barbara Czernek, 15.09.2020, Gießener Anzeiger