Klamauk von kruder Klasse - Gießener Allgemeine Zeitung
01.11.2021

»Die Ritter der Kokosnuss« treffen auf »Jede Menge Müll«. Das Stadttheater erweist der legendären britischen Comedy-Truppe Monty Python mit dem Musical »Spamalot« seine Reverenz. Es darf gelacht werden.

Alle sind sie da: der schwarze Ritter, das Killerkaninchen, die Hand Gottes. Der Heilige Gral fährt auf einem ferngesteuerten Elektrowägelchen durchs Bild, die Ritter der Tafelrunde erweisen sich als dramatische Deppen und die elenden Franzosen fluchen wie im Film, weshalb kleine Kinder besser draußen bleiben. In dem von Anarcho-Humor regierten Musical »Spamalot« kriegt Klamauk krude Klasse.

Monty-Python-Mitglied Eric Idle hat »Die Ritter der Kokosnuss« (1975), den zweiten Film-Hit der Truppe, umgeschrieben und mit Komponist John Du Prez zwei Stunden Schabernack auf die Bühne gezaubert. Bejubelte Premiere am Broadway feierte »Spamalot« 2004; die Camelot-Verballhornung bedeutet in etwa »Jede Menge Müll«. In der Regie von Thomas Goritzki ging am Samstag im Stadttheater die deutsche Version in der Übersetzung von Daniel Große Boymann an den Start. Am Ende gab es dafür im Großen Haus reichlich Applaus vom Publikum.

Zu Beginn hapert es auf der Bühne mit den Tempi, dann nimmt die Chose Fahrt auf. Im Finale legen alle noch ein Schippchen drauf. Goritzki nutzt seine Erfahrung mit komischen Stoffen für eine abwegige Heldenreise, in der er die hohe Kunst der hintersinnigen Albernheit mit dem Vergnügen am Trash verbindet. Er webt hier und da Kleinigkeiten ein, lässt das Strickmuster ansonsten unangetastet und verzichtet weitgehend auf lokalen Zierrat.

Im Graben dirigiert Martin Spahr, 1. Kapellmeister und musikalischer Leiter des Schauspiels, das spartenübergreifende Stück. 13 Musiker und Spahr an einem von drei Keyboards gehen elektronisch verstärkt ans Werk, den ge-sungenen Absurditäten Format einzuhauchen. Trotz oder gerade wegen des gewollten Kitschs mit seinen unzähligen Anspielungen sind die Nummern nicht ohne.

Der Knappe Patsy wird zum Star

Ausstatter Heiko Mönnich kleidet die Darsteller prächtig ein vor einer grauen Burgmauer. Er lässt es krachen, blitzen und donnern und verhilft gemeinsam mit Goritzki im trüben Britannien dem schon tot geglaubten Trockeneisnebel zu einer Renaissance. Das Manko der Personenführung: Oft starren die Darsteller auf die Burg im Hintergrund, wenn dort die Musik spielt, und zeigen dem Publikum den Rücken. Akustisch bleibt das ohne Folgen, da auch die Stimmen der Akteure elektronisch verstärkt werden. Hin und wieder hat die Technik Probleme, die Lautstärke genau auszutarieren.

Bariton Tomi Wendt setzt als König Artus dem komödiantischen Treiben die Krone auf. Sein »Ich bin allein« geht mitsamt Ironie unter die Haut. Die Ritter der Tafelrunde (Tom Wild, David Moorbach, Magnus Pflüger und Lukas T. Goldbach) sind ein famoser komischer Haufen, solange sie nicht singen. Anne-Elise Minetti mausert sich in der Rolle des Knappen Patsy musikalisch wie darstellerisch zum geheimen Star des Abends. Musical-Größe Sophie Berner setzt als egoistische Fee aus dem See mit impulsiver Stimme und Ausstrahlung die Akzente. Der humoristische Höhepunkt geht aufs Konto von Schauspieler Stephan Hirschpointner, wenn er Merlins Zauberlehrling gibt und Prinz oder besser: Prinzessin Herbert Leben einhaucht. Ebenfalls köstlich agiert Pascal Thomas als Historiker und Sir Galahads Mutter. Bis auf Wendt und Berner brillieren sämtliche Darsteller in mehreren Rollen, dazu wird eifrig getanzt und getobt.

Die gut 20 Songs strotzen vor Referenzen. Die Webber-Musicals »Cats« und »Das Phantom der Oper« werden ebenso zitiert wie der »Cancan« von Offenbach, Barry Manilows »Copacabana« und der John-Denver-Ohrwurm »Take me home, country roads«. Die Liste ließe sich um »Anatevka«-Zitate, Wagner-Einsprengsel und Kinderlieder erweitern. Nicht fehlen darf der Evergreen aus dem Monty-Python-Kultfilm »Das Leben des Brian«: »Always look on the bright side of life«.

Die Titelmusik des »Kokosnuss«-Streifens mit ihrem fantastischen Bläsersatz spart das Musical allerdings aus. Auch wirken die Seitenhiebe auf den New Yorker Broadway-Zirkus in der Übersetzung verhalten. Wird schwarzer Humor aus England im Deutschen aufgehellt, fallen antisemitische Witze natürlich unter den Tisch.

Coronabedingt haben die Verantwortlichen in Gießen das Musical leicht gekürzt. Trotz rasant steigender Inzidenz werden im Saal nun während der Vorstellung wieder wegen möglicher Catering-Geräusche aus dem Foyer die Türen geschlossen. Das erschwert in beiden Akten die noch vor wenigen Wochen viel beworbene Frischluftzufuhr.


Manfred Merz, 01.11.2021, Gießener Allgemeine Zeitung