Drei sind keiner zu viel: Kammeroper auf taT-Studiobühne - Gießener Allgemeine Zeitung

21.10.2014

Der norwegische Komponist Knut Vaage ist eigens aus Bergen zur deutschen Erstaufführung seines Werks »Da kommt noch wer« nach Gießen angereist.


Sie und Er und ein Mann. Drei Personen. Namen braucht es nicht. Die Kammeroper »Da kommt noch wer« des weithin unbekannten norwegischen Komponisten Knut Vaage und seines beinahe berühmten Landsmanns Jon Fosse (Libretto) setzt auf skandinavischen Minimalismus. Und auf menschliche Ängste. Hitchcock hätte seinen Spaß gehabt an dem Vexierspiel aus dem hohen Norden. Das bewies die Erstaufführung in deutscher Sprache am Sonntagabend auf der taT-Studiobühne.

Fosse zeigt die kulminierende Angst eines jungen Paares, das zu zweit die fatale Einsamkeit in einem solitären Haus am Meer sucht. Sein Text arbeitet mit Wortwiederholungen und Phrasen, setzt auf die Kraft des Plakativen. Und auf das Nichtgesagte. Tondichter Vaage verknüpft seine atonale Lautmalerei dank kleiner Motive eng mit den Worten.

Zwei gut ausgestattete Schlagwerke sowie Flöte, Klarinette und Fagott (jeweils mit Bassvariante), Bratsche, Cello und Kontrabass – hinter der Kulisse gespielt von einem gut aufgelegten Oktett unter der einfühlsamen Leitung des jungen Dirigenten Martin Spahr – geben den Worten Geleit, führen sie bisweilen an den Rand des Abgrunds, verschaffen ihnen Leid, wenig Linderung. Die Musik bereitet die Charaktere vor, gibt Hinweise auf die verlorenen Momente im Leben des Paares, das sich aufreibt, ja umzukommen droht. Das Ende bleibt offen.

Die Bühne von Marc Jungreithmeier, eine weiße Klötzchenfassade des Hauses, verwandelt sich im Laufe des paranoiden Handlungsrudiments mithilfe von zwei Beamern und Videoeinspielungen in eine dreidimensionale Klötzchenküche, in Klötzchenschlafkammer und Klötzchenwohnstube, in Raumdramaturgie und Lichtmagie.

Hier werden die Protagonisten mit der Vergangenheit des Hauses konfrontiert. Toneinspielungen aus der Konserve erhöhen den Unsicherheitsfaktor. Er (brillant: Tomi Wendt) ist zu Beginn tough und stark, weicht jedoch immer mehr auf, wird fahrig und steckt plötzlich voller Selbstzweifel. Sie (wunderbar von Pein erfüllt: Naroa Intxausti) in großer Sorge, gibt ihm Halt, doch der fremde Mann, der da kommt, der ehemalige Besitzer des Hauses (gediegen: Thomas Stückemann), bringt Unruhe mit, Eifersucht und Dissens. Der Rhythmus macht die Musik, die Taktwechsel halten das musikalische Zepter in der Hand.

Zu hören ist von Glockenklang und Klappengeklapper über quietschende Glissandi und sphärisches Geflirre bis hin zum monotonen Streichakkordgehämmer à la Bernard Herrmann alles außer einer Melodie. Und dennoch – oder gerade deshalb – zieht Vaages Musik in Bann.

Wendts Bassbariton erklingt mit Aplomb und großer Textverständlichkeit, Intxaustis Sopran hält die Spannung, während Stückemanns Tenor das abseitig Hintergründige formuliert – mitsamt der videoeingespielten Großmutter und seiner selbst als junger Bub. Die kühle Inszenierung von Stephanie Kuhlmann setzt auf Ruhe, ein wohltuender Kontrapunkt zum Sound und der optischen Illusion und Imagination. Komponist Vaage, eigens aus Bergen zur Premiere angereist, war angetan vom lang anhaltenden Applaus.

Ein pulsierender Abend abseits des Mainstreams. Unbedingt hingehen!

Manfred Merz, 21.10.2014, Gießener Allgemeine Zeitung